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Felix Ringel auf der Suche nach dem postsozialistischen Osten

Sven Näbrich11. März 2009

Plattenbautristesse und Lausitzersand. Das ist Hoyerswerda. Ein ideales Forschungsgebiet für den Anthropologen Felix Ringel. Der Doktorand aus Cambridge untersucht die Lebensstrukturen nach der Wende.

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Begrüßungsschild am Bahnhof Hoyerswerda
Hoyerswerda wirbt um jeden BesucherBild: Sven Näbrich

In einem Kombi fährt Felix Ringel durch das Neubaugebiet. Links und rechts stehen graue Wohnkomplexe, viele von ihnen sind unbewohnt, haben keine Fensterscheiben mehr, sehen verwahrlost aus. "Jetzt sind wir beim WK 9, hier sind besonders viele Abrissflächen." Felix Ringel zeigt aus dem Fenster. "Die Häuser sind natürlich nicht saniert. Das ist für die Bewohner kein angenehmes Leben."

Seit 14 Monaten hat sich Felix Ringel in Hoyerswerda eingerichtet. Der Doktorand aus Cambridge unternimmt in der Oberlausitz einen anthropologischen Feldversuch. Thema: Leben in postsozialistischen Strukturen. Während sich seine Kollegen bei Indianern im Amazonasgebiet oder Muslimen in Nordchina aufhalten, hat Ringel das Naheliegende gewählt: Hoyerswerda. Die Stadt im Osten Sachsens kurz vor der polnischen Grenze war früher einmal eine Vorzeigestadt. Jung, modern, sozialistisch. Die DDR-Wirtschaft brauchte für die Werke im nahen Gaskombinat Schwarze Pumpe wie auch für den benachbarten Tagebau Arbeitskräfte – hier, in den Plattenbauten wohnten sie.

Von der Planstadt zum Problemfall

Der Menschenforscher Felix Ringel
"Menschenforscher" Ringel vor einer AbrissplatteBild: Sven Näbrich

Bald war Hoyerswerda die geburtenreichste Stadt der DDR. Heute ist nur noch ein Schatten von dem Glanz geblieben. Insbesondere in der Neustadt macht sich Tristesse breit. Mit dem Wegfall der ökonomischen Perspektive, mit dem Schließen vieler Großbetriebe, haben sich auch die Einwohner verabschiedet. Seit 1989 ist Hoyerswerda wie keine zweite Stadt im Osten geschrumpft.

Forschung am Frühstückstisch

Felix Ringel interessieren besonders die vielen kleinen Geschichten hinter der großen Verfallsgeschichte. Um ganz nah an die Menschen in Hoyerswerda heranzukommen, hat sich der Anthropologe bei ihnen zuhause einquartiert. Alle acht Wochen wechselt er die Herberge, zieht von einer Wohnung zur nächsten, von der Alt- in die Neustadt. Dabei sammelt er Geschichten, nimmt am Leben der Menschen teil, führt Gespräche am Frühstückstisch und trifft sich abends zum Bier auch mal in der Kneipe.

Hoyerswerda Hier standen vor kurzem noch Wohnblöcke
Hier standen vor kurzem noch Wohnblöcke. Abrissfläche in der NeustadtBild: Sven Näbrich

Eine der ersten, die den Forscher bei sich aufgenommen hat, war Angela Schäfer. Die ehemalige Lehrerin hat den Niedergang ihrer Stadt aus nächster Nähe, in der eigenen Familie miterlebt. "Mein Sohn war zwei Jahre im Ausland und als er zurück kam, hatte er hier alle sozialen Kontakte verloren. Die Freunde lebten mittlerweile alle woanders - und er ist dann auch weggegangen, nach Österreich. Das tat uns weh. Aber es ist halt so."

Von Cambridge nach Hoyerswerda

Solche Erfahrungen saugt Felix Ringel auf wie ein Schwamm. Über 50 Tagebücher hat er bereits in Hoyerswerda vollgeschrieben, sie sind der Grundstock seiner bald entstehenden Doktorarbeit. Auch wenn der junge Forscher alles penibel mitschreibt und genau nachfragt – bespitzelt fühlt sich hier niemand. Im Gegenteil. "Die Gespräche waren eher so, dass es auf eine Verständigung zielte", erinnert sich Heike Kalkbrenner, bei der Ringel fünf Wochen auf der Couch genächtigt hat. "Er hat sich für uns interessiert, wir uns aber auch für ihn."

Selbstvertrauen durch Zuhören

Noch zwei Monate wird Felix Ringel in der Oberlausitz bleiben und die Menschen beobachten, bevor es wieder zurück geht nach Cambridge. In den vergangenen Monaten hat er dabei etwas geschafft, was viele gar nicht mehr für möglich gehalten hätten: Der junge Forscher hat den Menschen hier neues Selbstvertrauen gegeben. Durch seine frische, unvoreingenommene Art hat er den Blick auf eine Stadt verändert, die im Schatten der Abrissbirne schon fast aufgegeben war. "Ich spüre, dass die Menschen hier noch viel Lebensenergie haben, und wünsche mir, dass sie selbst einmal entspannt sagen können: Hoyerswerda ist eigentlich auch nur eine kleine Stadt - gut, mit vielen Plattenbauten - aber nicht viel anders als anderswo. Und das ist gut so."