1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sundhaussen: "Kroatien kann vermitteln"

Nenad Kreizer10. Juli 2013

Das neue EU-Mitglied Kroatien könnte als Vermittler auf dem Balkan auftreten. Allerdings müsste das Land dafür eigene Interessen in den Hintergrund rücken, erklärt Historiker Holm Sundhaussen im DW-Interview.

https://p.dw.com/p/18xVX
Professor am Arbeitsbereich Geschichte und Kultur am Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin copyright: Holm Sundhaussen, Bild aus dem Privatarchiv, Undatierte Aufnahme, Eingestellt 30.04.2013
Holm Sundhaussen Uni BerlinBild: privat

DW: Kroatien ist in die EU aufgenommen worden, weitere Balkanländer streben eine Vollmitgliedschaft an. Glauben Sie, dass eine Mitgliedschaft in der EU auf Dauer die unruhige Lage in der Region verbessern kann und Frieden bringen wird?

Holm Sundhaussen: Ich denke, dass das ein wesentlicher Schritt ist. Es ist sicherlich keine Garantie, aber Tatsache ist eben, dass die EU Konfliktpotenziale ihrer Mitglieder bisher eigentlich immer recht gut eingedämmt hat. Auch wenn unser Blick auf die EU durch die augenblickliche Finanz- und Schuldenkrise eingeengt wird, bleibt es doch das große Verdienst der Gemeinschaft, zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte wesentlich beigetragen zu haben.

Kroatien sieht sich - und wird darin auch von vielen EU-Staaten unterstützt - als eine Art zukünftige Brücke zwischen Brüssel und dem Rest der Region, die man "westlicher Balkan" nennt. Ist das realistisch? Werden die Länder in der Region, vor allem Serbien, jemals diese "führende" Rolle Kroatiens anerkennen?

Kroatien kann - wenn es das will - eine wichtige Vermittlerposition einnehmen, was allerdings auch voraussetzt, dass es mitunter eigene Interessen etwas in den Hintergrund stellt. Erinnern wir uns an den Beitritt Sloweniens: Auch damals galt Slowenien als ein Vermittler, was die Regierung in Ljubljana aber nicht daran gehindert hat, den Beitrittsprozess Kroatiens wegen ungeklärter Grenzfragen zeitweilig zu blockieren. Außerdem ist eine Vermittlerrolle nicht gleichbedeutend mit einer Führungsrolle. Wer für sich eine Führungsrolle beansprucht, schafft sich eigentlich automatisch Gegner.

Die Griechen sind seit über 30 Jahren in der EU, und doch sind dort Korruption und Klientelismus immer noch sehr präsent. Man hat vielleicht ökonomische Vorteile übernommen, aber nicht unbedingt die politischen und moralischen Werte, für die Europa steht. Außerdem war Griechenland von 1967 bis 1974  eine Militärdiktatur. Ähnlich instabil ist es auch auf dem restlichen Balkan. Glauben Sie nicht, dass es hier um Mentalitätsfragen geht und dass auch Brüssel da nichts ändern kann?

Ich gehe davon aus, dass das Prozesse sind, die einfach langfristig angelegt sein müssen. Der zweite Punkt ist, dass auch die EU aus diesen Problemen lernen muss. Auch beim Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur Europäischen Union und beim Beitritt Griechenlands zur damaligen Europäischen Gemeinschaft und dann zur Eurozone, waren die Kriterien einfach nicht klar. Man hat zu wenig geprüft, ob die Kriterien erfüllt werden. Und dadurch hat man immer wieder Spielräume gelassen und diese Spielräume werden dann eben ausgenutzt von Leuten, die eigentlich ganz andere Ziele verfolgen. Beim ehemaligen Jugoslawien geht es um Nachkriegsgesellschaften und ich denke, alle Nachkriegsgesellschaften überall auf der Welt brauchen einige Jahrzehnte, bis sie sich mit dem, was geschehen ist, auseinandersetzen können. Das war auch in Deutschland nicht anders nach 1945.  Nach dem Tod von Franjo Tudjman oder dem Sturz von Slobodan Milošević war überall zu hören, dass nun praktisch die Demokratie "ausgebrochen" sei. Diese Euphorie konnte ich nicht nachvollziehen. Denn solche Prozesse dauern mindestens eine oder zwei Generationen und führen auch nur dann zum Erfolg, wenn es innerhalb der Gesellschaft, zum Beispiel durch NGOs und in den Medien, die Bereitschaft gibt, sie voranzutreiben.

Personal eines EU-Hilfstransports diskutiert im Oktober 1991 mit kroatischen Soldaten (Foto: picture alliance/dpa)
Schon damals half die EU: Medizintransport für die belagerte kroatische Stadt Vukovar im Jahr 1991Bild: picture-alliance/dpa

Kroatien war zwar eine der am stärksten industrialisierten Regionen in Jugoslawien - doch diese Industrie gibt es so gut wie gar nicht mehr. Womit kann Kroatien wirtschaftlich punkten? Welche Chancen hat Kroatien, überhaupt auf einem gemeinsamen Markt in der Europäischen Union zu überleben? 

Auch das würde ich als einen Prozess verstehen. Denn es geht jetzt nicht um die natürliche Ausstattung mit bestimmten Ressourcen, sondern es geht immer darum, wie effizient, wie leistungsfähig eine Gesellschaft ist. Dann kann auch ein Land, das eigentlich von der natürlichen Ausstattung her nicht so viel zu bieten hat, durchaus sehr erfolgreich sein. Es muss auch nicht unbedingt groß sein, wir haben ja viele relativ kleine Staaten in Europa, kleiner noch als Kroatien, die trotzdem sehr erfolgreich sind. Es hängt also sicherlich davon ab, wie leistungsfähig die kroatische Gesellschaft aufgestellt wird. Dann kann sie sich über den Tourismus hinaus, der natürlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor bleiben wird, auch in anderen Bereichen eine Zukunft aufbauen.

Holm Sundhaussen ist emeritierter Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Freien Universität Berlin.