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Wo Mann noch Cowboy sein darf

Gero Schließ, Washington 6. Februar 2016

Die Faszination für den Super Bowl ist bei Amerikanern ungebrochen. Es ist ein Riesen-Geschäft und eine Riesen-Gaudi. Für unseren Korrespondenten Gero Schließ ist das nicht unbedingt nachvollziehbar.

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USA Superbowl Fiber
Bild: Getty Images/M. Lawrie

Ja wo laufen sie denn? Diese den Deutschen so vertraute Frage werde ich mir vermutlich auch am Sonntag wieder stellen, wenn ich mich mit Freunden zur Super-Bowl-Party treffe. Diesmal wird es nur ein kleiner Kreis sein - nicht eine ganze Horde von Männern in lauter, aufgeheizter Stimmung bei Chickenwings und Bier, wie es Millionen Amerikaner machen. Lange habe ich nicht begriffen, was am Super Bowl so aufregend sein soll. Und schon gar nicht, wie man damit so viel Geld machen kann. Aber auch meine amerikanischen Freunde hier in Washington sind nicht alle im Super-Bowl-Fieber. Einer von ihnen geht demonstrativ auf Reisen – und den Super-Bowl-Ritualen aus dem Weg. Ein anderer sagte mir nach unserem Samstagmorgen-Lauf, dass er gerade erst mitbekommen habe, dass Super-Bowl-Wochenende ist. Und das trotz heftiger Medienberieselung, die sich in einer ansteigenden Kurve langsam aber sicher vor die Wahlkampfberichterstattung schiebt.

Rempeleien und Ballkämpfe

Betrachten wir es mal ganz nüchtern: 22 junge Männer jagen behelmt einem eierförmigen Ball hinterher, den sie in der Regel nicht schießen, sondern werfen und – wenn's gut geht - nach viel Gerangel wieder auffangen. Aber so recht will kein Spielfluss aufkommen. Denn wiederholt werden die Jungs vom Schiedsrichter gestoppt. Es gibt Abstöße, Rempeleien, Ballkämpfe. Nichts für sensible Gemüter. Irgendwann lassen dann die Party-People die Hühnchenschenkel aus der Hand fallen, reißen die Hände hoch und stoßen Jubelrufe aus. Das ist das Zeichen für mich, dass eine der beiden Mannschaften den Ball endlich durchgebracht und Punkte gemacht hat. Viele sagen ja, dass sie die genial gemachten Werbespots, die in den Pausen laufen, viel spannender finden. Oder die Pausenshow, die in diesem Jahr von der Band "Coldplay" bestritten wird. Auf jeden Fall erschließt sich mir das mehr als die Spielzüge auf dem Rasen.

Ich habe in drei Jahren USA die Regeln noch immer nicht verstanden, obwohl es bei den Super-Bowl-Partys geduldige Geister gab, die es unermüdlich versuchten. Am Ende habe ich dann - erschöpft von soviel Regelwerk – vorgegeben, dass ich nun alles wisse und im Stillen gedacht: Nur keine weiteren Fragen mehr stellen.

Gero Schließ
US-Korrespondent Gero Schließ

Fake-Fans

Da ist es doch beruhigend, dass offenbar auch viele Amerikaner nicht so recht Bescheid wissen, obwohl sie American Football mit der Muttermilch aufgesogen haben müssten. Es steht sogar zu vermuten, dass sich mehr als gedacht als Fake-Fans ausgeben, um ja nicht sozial ausgegrenzt zu werden. Das "Time"-Magazin stellte jetzt rechtzeitig zum Football-Gipfeltreffen der Denver Broncos und der Carolina Panthers ein Überlebenskit für Unwissende bereit. Unter der Überschrift "9 Super-Bowl-Fakten, die dich wie einen Footballkenner klingen lassen" bekommt man wertvolle Tipps, um sich für kommende Konversationen zu wappnen. Man erfährt zum Beispiel, dass die Denver Broncos wahre Looser sind und kein Football-Team mehr Super Bowls verloren hat als sie. Vielleicht liegt's ja auch daran, dass – eine weitere Information von "Time" – der 39jahre alte Quarterback der Broncos, Peyton Manning, der älteste Quarterback in der Super-Bowl-Geschichte ist.

Peyton Manning, Denver Broncos
Das ist ein Quarterback: Peyton Manning (im orangefarbenen Trikot)Bild: Getty Images/D. Pensinger

"Wir schaffen das!"

Ach ja, was ist ein Quarterback? Das ist so etwas wie eine Mischung aus Kapitän und Libero. Man kann auch sagen, er hat eine ähnliche Rolle wie der deutsche Bundeskanzler. Er organisiert die Arbeit seiner Mitspieler und ermutigt sie mit Sätzen wie: "Wir schaffen das!"

Größer, schöner, weiter

Jedenfalls haben die Amerikaner Gefallen an diesem Riesenspektakel. Vielleicht hängt das ja mit einer Art amerikanischem Größenwahn zusammen, der sich an vielen Dingen zeigt.

Alles muss großartiger und schöner sein in Amerika. Großartiger und schöner als irgendwo anders auf der Welt. Das Land mit der größten Wirtschaftskraft, dem stärksten Militär, den angesagtesten Hightech-Unternehmen und den aufwendigsten Kinoproduktionen. Das ist der "American exceptionalism" - die Einzigartigkeit, an die aber in Zeiten des gefühlten Niedergangs immer weniger glauben.

Der Super Bowl ist von dieser Skepsis ausgenommen. Die Faszination scheint für viele ungebrochen, auch wenn in diesem Jahr mit dem Präsidentschaftswahlkampf eine andere Rauf-Veranstaltung dem Super-Bowl kräftig Konkurrenz macht.

Und wenn ich ehrlich bin: Auch ich kann mich dieser Faszination nicht ganz entziehen. Ich spüre diese Energie auf dem Spielfeld. Die Energie einer verschworenen Männergemeinschaft, wie sie vielleicht nur im College, in der Sauna oder auf dem Spielfeld entstehen kann. Ja, da ist auch so etwas wie Wildheit und Freiheit, wenn sich die Männer mit viel Körpereinsatz harte Kämpfe liefern. 100-Kilo-Hünen krachen da in vollem Lauf in ihre Gegenspieler hinein und setzen ihre Gesundheit aufs Spiel. Der Super Bowl: einer der letzten Zufluchtsorte für freie Männer, die ihre Kraft ausleben wollen. Wo der Mann noch Cowboy sein darf.