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Suspendiert und dennoch Sieger

Hans Jürgen Mayer16. April 2004

Südkoreas Präsident im Wartestand, Roh Moo-hyun, erhält durch großen Wahlsieg seiner Uri-Partei einen Vertrauensbeweis der Bevölkerung. Zum Ausgang der Wahlen in Südkorea ein Kommentar von Hans Jürgen Mayer.

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Bei der Parlamentswahl in Südkorea ging es im Kern um den von seinem Amt suspendierten Präsident Roh Moo-hyun, gegen den die Parlamentsmehrheit ein Amtenthebungs-Verfahren erzwungen hatte. Über die Amtsenthebung muss in den nächsten Wochen oder Monaten der Oberste Gerichtshof in letzter Instanz entscheiden. Das Amtsenthebungsverfahren wurde von der konservativ-liberalen Mehrheit wegen relativ geringfügiger Verstöße gegen das Verbot der Vorteilsnahme und der parteipolitischen Neutralität in die Wege geleitet. Hauptziel war jedoch die Politik, für die der Präsident steht, nämlich: Kampf gegen die tief verwurzelte Korruption, Ablösung der alten, verkrusteten politischen Eliten und eine moderne Wirtschaftspolitik mit sozialer Komponente. Die klare Mehrheit der Wähler hat sich hinter die von Roh Moo-hyun vertretene Linie gestellt.

Politik in Südkorea - das ist keine blutleere Veranstaltung von Formal-Demokratie mit Fenster-Reden, die die Politik-Verdrossenheit immer weiter vorantreiben. Wenn auch immer wieder Apathie die Wähler überkommt, die das Politkarussell zur Befriedigung persönlicher Eitelkeiten und zur Versorgung von Parteifreunden mit Ministerposten zur Genüge kennen: Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, an dem Emotion pur die Oberhand gewinnt. Dann wird erbittert um die Leitlinien der Politik gerungen, bis hin zu Faustkämpfen im Parlament. Ein bisschen Operette ist eben immer dabei, wenn in Südkorea der Kampf um handfeste Interessen stattfindet.

Um Macht und Posten ging und geht es auch bei Amtsenthebungsverfahren gegen den derzeit suspendierten linken Präsidenten Roh Moo-hyun. Die Zweck-Koalition aus konservativer Grand National Party mit ihrer Parlamentsmehrheit und der mittlerweile abgetakelten Millenniumspartei des früher angesehenen Ex-Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Kim Dae-jung wirkte wenig glaubwürdig, als sie das Amtenthebungsverfahren wegen vergleichsweise geringer Verstöße gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität und das Verbot der Vorteilsnahme in der Umgebung des Präsidenten erzwang. In konservativen Kreisen hat es da schon ganz andere Fälle von Korruption gegeben, und Kim Dae-jung selbst hat längst den Glanz des integren Streiters gegen die Militär-Diktatoren eingebüßt.

Das hatte zu massenhaften Protesten gegen die Suspendierung in der Bevölkerung geführt und nun eine klare Mehrheit der Wähler veranlasst, der Uri-Partei ("Unsere Partei") des suspendierten Präsidenten Roh das Mandat zur Fortführung der Reform-Politik zu erteilen. Die zielt darauf, die alten Polit-Eliten abzulösen, die aus der Sicht der Jugend und der Gegner der diversen Diktatoren immer noch autoritärem Denken und Nepotismus verhaftet sind.

Außerdem soll der Einfluss der Chaebol, der mächtigen Industrie-Konglomerate, eingeschränkt werden und Wirtschaftswachstum mit sozialstaatlichen Elementen verknüpft werden. Das unheimliche Nordkorea schließlich wollen Roh Moo-hyun und seine Weggefährten durch den Verzicht auf frontale Konfrontation und durch Wirtschaftskooperation zur Aufgabe seiner Atom-Pläne bewegen. Von den USA verlangt Seoul, das bislang die Irak-Politik mitgetragen hat, dass amerikanische Soldaten in Südkorea Zurückhaltung an den Tag legen und sich nicht verhalten sollen, als stünden sie über dem Gesetz.

Die Fortführung dieser Politik ist es, hinter der die Bevölkerungsmehrheit steht, auch wenn Roh Moo-hyun nach gut einem Jahr Amtsführung viel an Ansehen eingebüßt hat. Roh war als politischer Außenseiter angetreten, lebte von seinem Ruf als unbestechlicher Dissidenten-Anwalt und Gewerkschaftsführer und kannte sich nicht aus im politischen Ränkespiel. Kein Wunder, dass er sich durch seine Naivität im Dickicht aus Intrigen und allgegenwärtiger Korruption verfing, auch wenn die nicht ihn selbst betrifft.

Jetzt hat seine Uri-Partei eine überwältigende Mehrheit, die auch den Obersten Gerichtshof beeindrucken könnte. Doch ob der Präsident seines Amtes enthoben wird oder nicht: Das jetzige Wahlergebnis scheint ein Garant dafür zu sein, dass der Marsch zurück in die "gute alte Zeit" von Vetternwirtschaft und konfuzianischer Autoritätsgläubigkeit so bald nicht stattfinden wird.

So bizarr der innenpolitische Kampf in Südkorea manchmal auf westliche Beobachter wirkte - die junge Demokratie hat wieder einmal bewiesen, dass sie Krisen meistern und Widersprüche aushalten kann. Nördlich des 38. Breitengrades lässt dagegen das Regime der Kim-Dynastie sein abgewirtschaftetes Reich im Zeichen des Personenkultes und des GULAG als Verwirklichung des Menschheitstraumes feiern.

Doch auch Südkoreas Reform-Elite muss nun mehr beweisen als Prinzipientreue bei der Wahrung von politischen und sozialen Grundrechten. Die Wirtschaft boomt, doch die Jugendarbeitslosigkeit auch. Bodenlos leichtsinniger Umgang mit Kreditkarten hat dazu geführt, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung in der Schuldenfalle sitzt. Der "kleine Tiger" Südkorea ist zugleich Profiteuer und Opfer der Globalisierung, mal von klugen Ökonomen auf Erfolgskurs gebracht, dann wieder extrem krisenanfällig. Das "Saubermann-Image" der jetzt triumphierenden Uri-Partei ist keine Garantie für einen längerfristigen Machterhalt.