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Syrien: "Es sollte um die Machtübergabe gehen"

Matthias von Hein16. Mai 2016

In Wien wird erneut über Wege zum Frieden in Syrien beraten. Bisher hat keine Konferenz langfristige Ergebnisse gebracht. Das liegt daran, dass das Assad-Regime auf Zeit spielt, sagt Nahost-Expertin Bente Scheller.

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Syrien Kinder genießen die Feuerpause nach Inkrafttreten am 27. Februar
Bild: picture-alliance/epa/M. Badra

Deutsche Welle: Seit Ende Februar galt eine Waffenruhe in Syrien. Seitdem sind knapp drei Monate vergangen. Welche Bilanz kann man heute ziehen?

Bente Scheller: In den ersten Wochen hat diese Waffenruhe sehr vielen Syrerinnen und Syrern große Hoffnung gemacht. Zwar hat es von Anfang an Verstöße gegeben. Aber viele haben gedacht, dass alles besser wird. Es war das erste Mal, dass es eine signifikante Atempause gab! Aber mit der Zeit wurde immer klarer, dass es weiterhin Angriffe und Gefechte gibt. Wenn wir uns die Todeszahlen während dieser Wochen anschauen, dann müssen wir leider feststellen: So viel weniger Tote gab es in dieser Zeit dann doch nicht.

Trotz der Waffenruhe durfte eine Partei ja weiter bekämpft werden: Der sogenannte Islamische Staat (IS). Was sehen denn die wesentlichen militärischen Entwicklungen der letzten drei Monate aus?

Wir haben sicherlich alle beobachtet, wie Palmyra vom Regime zurück erobert wurde. Das ist auch reiflich inszeniert worden. Wir haben aber weiterhin das Problem, dass das Regime und die russische Luftwaffe sehr aktiv sind und sehr viel bombardieren - aber fast ausschließlich Rebellengebiete und kaum den sogenannten Islamischen Staat. Deshalb sehen wir nur sehr kleine Fortschritte, was die Gesamtsituation des Kampfes gegen den IS in Syrien angeht.

Bente Scheller, Leiterin des Nahost-Büros der Böll-Stiftung (Foto: HB Stiftung)
Bente Scheller leitet das Büro der Heinrich-Böll Stiftung in BeirutBild: Stephan Röhl

Besonders verworren ist die Lage in und um die Stadt Aleppo. In der größten Stadt Syriens stehen sich auf engstem Raum Truppen von Assad und Milizen verschiedener Oppositionsgruppen gegenüber - moderater wie islamistischer Ausrichtung.

Aleppo ist nach wie vor ein hoch umkämpftes Gebiet, weil es hier für viele Kriegsparteien um sehr viel geht. Einerseits ist Aleppo von hoher Symbolkraft, weil es die größte Stadt Syriens ist. Das kann man sicherlich als Sieg verkaufen, wenn man hier größere Fortschritte macht. Andererseits ist die Lage der Menschen besonders im von der Opposition gehaltenen Ostteil der Stadt dramatisch gefährdet. Es gibt nur einen sehr schmalen Korridor durch den Lebensmittel und andere Güter in die Stadt gelangen können. Wenn Regimekräfte diesen Korridor abschneiden, wären einige Hunderttausend Menschen eingeschlossen und die Situation wäre sehr schwierig. Dementsprechend wurde Aleppo in den letzten Wochen sehr stark von Luftangriffen des Regimes und Russlands getroffen. Jetzt soll die Stadt wieder Teil der Waffenruhe sein. Wir können nur hoffen, dass das ein bisschen Erleichterung für die Menschen bringt.

Gerade hat es wieder Streit gegeben zwischen den USA und Russland bezüglich der Definition von Terrorgruppen: Russland hatte dafür plädiert auch Ahrar ash-Sham als Terrorgruppe einzustufen und auf die UN-Sanktionsliste zu nehmen. Die USA hat das gemeinsam mit Frankreich, England und der Ukraine im Weltsicherheitsrat verhindert. Allerdings ist Ahrar ash-Sham eine streng militant-salafistische Gruppe, die eng mit dem Al-Kaida Ableger Nusra-Front zusammen arbeitet. Wie passt das zusammen?

Für Russland ist es wichtig, Gruppen in Syrien als terroristisch zu definieren, weil diese immer ausgenommen sind von einer Waffenruhe. So kann dies als Vorwand dienen, um weiter bestimmte Stadtteile zu bombardieren. Von früheren Angriffen wissen wir aber: Es trifft dabei selten Terroristen oder auch Gruppen, die tatsächlich militant aktiv sind. Es trifft zum größten Teil Zivilisten. Die Diskussion über die islamistischen Gruppen in Aleppo begann nach der wirklich unhaltbaren Behauptung, eine größere Anzahl der Rebellen im Ostteil seien Islamisten. Das sind sie ganz klar nicht.

Die Nusra-Front hat eine sehr schwache Präsenz dort. Aber dennoch hat das Russland dazu gebracht, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Ich denke, das Dagegenhalten der USA und Frankreichs und anderer liegt nicht daran, dass sie bei der Einschätzung der Gruppen so weit auseinander liegen. Ich denke eher, es handelte sich um ein politisches Manöver Russlands und das sollte verhindert werden.

Aleppo - eine Straßenszene (Foto: Reuters)
Aleppo ist die größte Stadt Syriens - und heftig umkämpftBild: Reuters/A. Ismail

Wie einig ist die syrische Opposition - über die Frage hinaus, dass Assad keine Rolle in Syrien mehr spielen darf?

Wir haben hier alle möglichen verschiedenen Ansichten. Es fängt schon damit an, dass es nie möglich war, dass die in Istanbul beheimatete Opposition - die nationale Koalition - tatsächlich ein Standbein in Syrien bekommen hat oder auch nur dorthin reisen konnte. Das war systematisch verhindert worden, dadurch dass das Regime die Gebiete, die nicht mehr unter seiner Kontrolle stehen, weiterhin bombardiert. Das schwächt natürlich Oppositionsstrukturen und macht es unmöglich, dass eine im Exil sitzende Opposition tatsächlich Rückhalt gewinnen oder auch etwas für die Menschen tun kann.

Deswegen haben wir eine sehr zersplitterte Opposition: Eine Opposition, an der auch aus vielen verschiedenen internationalen Ecken gezerrt wurde, weil Deutschland, Frankreich, die Golfstaaten und viele andere sich überhaupt nicht einig waren, was sie von dieser Opposition erwarten. Deswegen gibt es kein übergreifendes politisches Programm, sondern die sehr klare Vision: Assad muss weg! Was verständlich ist, denn natürlich sterben zurzeit und seit einigen Jahren die meisten Menschen durch Assads Armee und Milizen.

Die Mitglieder der Syrien-Kontaktgruppe wollen am Dienstag kommender Woche in Wien über den Konflikt beraten. Wie beurteilen Sie die Chancen auf Fortschritte im Friedensprozess - oder überhaupt erst auf die Initiierung eines Friedensprozesses?

Wir haben ja schon diverse Versuche beobachten könne. Es hat nicht nur insgesamt drei Genf-Konferenzen gegeben, sondern auch verschiedene andere Runden. Außerdem noch eine Reihe anderer kleinerer Konferenzen und Prozesse. Weit gekommen ist keiner von ihnen. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass das syrische Regime erkannt hat: die beste Strategie ist Aussitzen und auf Zeit zu spielen. Das ist auch die russische Strategie. Und jedes Mal, bevor eine neue Verhandlungsrunde beginnt, ist klar erkennbar, dass bestimmte Gebiete sehr viel stärker ausgehungert werden und unter höheren humanitären Druck geraten.

Dann stehen humanitäre Angelegenheiten wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Dabei sollte es bei den Verhandlungen eigentlich um die Machtübergabe gehen, die in Genf II vereinbart worden war. Aber genau dieser politische Aspekt, der zu einer Befriedigung Syriens führen kann, gerät immer wieder ganz unten auf die Tagesordnung, weil bewusst wieder die humanitären Frage in den Vordergrund gestellt wird. Politische Themen sehr selten angesprochen. Und deswegen bin ich auch sehr skeptisch, ob wir einen Fortschritt erwarten können.

Bente Scheller leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut.

Die Fragen stellte Matthias von Hein