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Syrien-Mission im Eilverfahren

2. Dezember 2015

Nun soll alles sehr schnell gehen. Binnen weniger Tage will der Bundestag den Militäreinsatz in Syrien beschließen. Kritiker warnen: Deutschland stolpert in einen Krieg hinein - ohne Strategie und ohne Exit-Plan.

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Von der Leyen zu Truppenbesuch in Afghanistan (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Das Bundeskabinett hat den Einsatz gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien beschlossen, die Fraktionen haben ihre Zustimmung signalisiert. Was jetzt kommt, gilt nur noch als Formsache: Wie Union und SPD mitteilten, soll der Bundestag an diesem Mittwoch mit der parlamentarischen Debatte beginnen. Die Abstimmung ist für Freitag angesetzt. Damit wäre der Weg frei für den derzeit größten Auslandseinsatz der Bundeswehr.

Schon in der nächsten Woche wolle man mit der Stationierung der ersten beiden "Tornados"-Aufklärungsflugzeuge im türkischen Incirlik beginnen, erklärte ein Sprecher von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (Artikelbild). Das gelte auch für das vorgesehene Tankflugzeug der Luftwaffe.

1200 Soldaten für den Anti-Terror-Kampf

Zuvor hatte das Bundeskabinett das Mandat für den Einsatz beschlossen. Die Eckdaten: Bis zu 1200 Soldaten sollen zur Bekämpfung des IS entsendet werden. Bis zu sechs "Tornados" sollen Aufklärungseinsätze fliegen. Darüber hinaus ist der Einsatz eines Marineschiffs geplant, um einen französischen Flugzeugträger zu schützen. Ferner soll ein Tankflugzeug die Kampfjets anderer Staaten aus der Luft betanken.

Im Bundestag zeichnet sich eine deutliche Mehrheit für das Vorhaben der Regierung ab. In einer internen Probeabstimmung der Unionsfraktion votierte einigen Teilnehmern zufolge nur ein Abgeordneter dagegen, zwei enthielten sich. In der SPD-Fraktion fiel das Ergebnis ebenfalls zugunsten des Mandats aus. Hier stimmten nach Angaben von Teilnehmern 13 Parlamentarier dagegen und zwei enthielten sich.

Nur jeder zweite "Tornado" einsatzbereit

Probleme gibt es allerdings an einer ganz anderen Stelle. Denn nach einem Bericht des Verteidigungsministeriums ist akut nicht einmal jeder zweite deutsche "Tornado"-Jet einsatzbereit. Wie die Nachrichtenagentur dpa unter Hinweis auf das 81 Seiten starke Papier meldet, sind bei der Luftwaffe von 93 angeschafften "Tornados" 66 in Betrieb und davon wiederum nur 29 einsatzbereit. Dies entspricht einem Anteil von 44 Prozent. Das sind noch weniger als bei der entsprechenden Untersuchung vor einem Jahr; damals waren noch 38 Jets für einen Einsatz verfügbar. Der Bericht steht an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung des Bundestags-Verteidigungsausschusses - ausgerechnet kurz vor der ersten Plenardebatte über das Mandat für den Anti-Terror-Einsatz. Der Bericht führt die mangelnde Einsatzbereitschaft unter anderem auf die "mangelnde Verfügbarkeit verschiedener Ersatzteile" zurück. Die "Tornados" sind zwischen 23 und 34 Jahre alt und gelten als Auslaufmodelle.

"Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend", urteilt Generalinspekteur Volker Wieker in dem Bericht. 117 Maßnahmen seien ergriffen worden, in einem Zeitraum von zehn Jahren seien 5,6 Milliarden Euro dafür veranschlagt. "Rasche Erfolge konnten nicht erwartet werden", schreibt Wieker. Die Maßnahmen würden erst mittelfristig Wirkung entfalten.

Syrische Soldaten auf Patrouille in Homs (Foto: Getty Images/AFP/Stringer)
Syrische Soldaten bekämpfen nicht nur den IS - hier in Homs haben sie vor allem die Rebellengruppen im VisierBild: Getty Images/AFP/Stringer

Kampf an der Seite Assads?

Von der Leyen betonte im Deutschlandfunk, bei dem Einsatz gehe es darum, "die Fähigkeit des IS zu zerstören, weltweit Terror aus dieser Region zu steuern". Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sieht den geplanten Bundeswehreinsatz als Teil einer internationalen Verantwortung, die nicht zuletzt aus den Anschlägen von Paris resultierte.

Der Kampf gegen die Dschihadistenmiliz IS könnte nach seiner Darstellung gar an der Seite von Machthaber Baschar-al Assad ausgetragen werden. Der syrische Präsident könne jetzt beweisen, "ob er sich an der Lösung beteiligen will". Alle in den Militäreinsatz involvierten Staaten müssten sich "eingestehen, dass wir gemeinsam in der Verantwortung stehen, dass das Gebiet von ISIS und Al-Nusra sich nicht noch weiter ausbreitet". Steinmeier betonte auch die Zusammenarbeit mit den lokalen Konfliktparteien. "Jetzt geht es darum, im nächsten Schritt die Opposition in Syrien zu sammeln und zu besprechen, ob sie sich einen begrenzten Waffenstillstand vorstellen können."

Assad sprach seinerseits eine Warnung Richtung Westen aus. In einem Interview, dass im öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, erklärte er, der Bürgerkrieg in seinem Land werde erst zu einem Ende kommen, wenn die internationale Allianz aus westlichen und arabischen Staaten aufhöre, "Terroristen zu unterstützen". Der Machthaber bezieht den Begriff der Terroristen auf alle oppositionellen Gruppen, die - ob bewaffnet oder unbewaffnet - an dem Konflikt in Syrien beteiligt sind.

Keine "Koordinierung" mit Russland

Mit Blick auf Russland erklärte Außenminister Steinmeier, derzeit sei nicht geplant, dass es eine "Koordinierung im engeren Sinne geben soll". Mit Satellitenbildern wolle man Moskau demnach nicht versorgen. Der Kreml steht derzeit an der Seite Assads und bombardiert nicht nur Stellungen des IS, sondern auch die anderer Rebellengruppen. Steinmeier ergänzte, Deutschland wolle sich dennoch mit Moskau darüber abstimmen, wo Flugzeuge eingesetzt werden, damit man sich nicht in die Quere komme.

Helfer tragen Verletzte nach einem Fassbombenangriff auf Aleppo (Foto: picture-alliance)
Die Kampfmethoden Assads sind zuweilen martialisch: Fassbombenangriffe haben oft zahlreiche zivile Opfer zur FolgeBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Alhabi

Der SPD-Politiker warnte weiterhin davor, schnelle Erfolge der Bundeswehr in Syrien zu erwarten. Gegen einen Gegner wie den IS sei ein "langer Atem" erforderlich, sagte er der "Bild"-Zeitung. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner wurde konkreter: Er rechne damit, "dass dieser Kampf mehr als zehn Jahre andauern wird".

"Krieg ist kein Selbstzweck"

Hinsichtlich des knappen Zeitplans für das parlamentarische Verfahren warnte Wüstner in der "Tagesschau": "Die Geschwindigkeit, mit der das Mandat jetzt durchs Parlament gebracht wird, ist sehr schnell - vielleicht sogar einen Tick zu schnell." Die Parlamentarier müssten der Gesellschaft erklären, warum und mit welchem Ziel der Einsatz auf den Weg gebracht werde. Insbesondere die Formulierung klarer Zielvorstellungen vermisse er noch von der Bundesregierung. Im ARD-"Morgenmagazin" betonte er: "Krieg ist kein Selbstzweck."

Die Bedenken Wüstners teilt die Opposition im Bundestag. Bei der Abstimmung am Freitag werden sowohl Grüne als auch die Linke voraussichtlich gegen den Einsatz der Bundeswehr stimmen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt kritisierte, es bestehe die Gefahr, dass Deutschland planlos in einen Krieg hineinstolpere. Ihre Partei vermisse eine Gesamtstrategie und bezweifele die Rechtsgrundlage des Einsatzes. "Wie die Situation jetzt ist, kann ich mir eine Zustimmung zu einem solchen Mandat nicht vorstellen", schlussfolgerte die Politikerin.

Ungeklärte Fragen

Es sei nicht klar, wer der Hauptfeind sei, den die internationale Allianz in Syrien bekämpfe, gab auch Grünen-Politiker Jürgen Trittin zu bedenken. Bei einer Probeabstimmung in der Fraktion votierten 41 der 46 Grünen-Abgeordneten gegen den Militäreinsatz.

Auch die Linksfraktion hält das Mandat für völkerrechtswidrig. Sie erwägt eine Verfassungsklage. Die Fraktionsvorsitzende Sarah Wagenknecht mahnte, man könne Terrorismus nicht mit Kriegen bekämpfen. Man stärke ihn damit vielmehr.

nin/sc (dpa, afp, rtr, epd)