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Politik

Die klaffenden Wunden des Nahen Ostens

Diana Hodali
30. Dezember 2016

Wieder ist ein Jahr vergangen, wieder starben Syrer und Jemeniten in blutigen Kriegen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Aber das Jahr 2016 hat für Syrien zumindest eines gezeigt: Der Weg zum Frieden führt über Moskau.

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Syrien syrischer Soldat mit Flagge
Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Ammar

Syrische und russische Kampfjets haben die Rebellenenklave Ostaleppo in den vergangenen Monaten fast dem Erdboden gleichgemacht, immer mehr Menschen mussten sterben. Viele wurden im Schlaf von Angriffen überrascht, ihre Leichen lagen tagelang verschüttet auf dem kalten Asphalt, denn die Friedhöfe sind voll.

Und jetzt? Jetzt flattert über der gesamten Stadt wieder Syriens Flagge. Nicht, weil es den Diplomaten bei den zahlreichen Friedensverhandlungen in Genf im Jahr 2016 gelungen wäre, eine politische Lösung für das kriegsgebeutelte Syrien zu erzielen. Auch nicht, weil man sich im Weltsicherheitsrat auf eine Resolution verständigen konnte oder eine der Waffenruhen dauerhaft gehalten hätte. Nein. Der syrische Präsident Baschar al-Assad und seine Verbündeten Russland und Iran haben die verschiedenen Rebellen-Gruppen durch Luftangriffe und Belagerungsstrategie mit voller Härte in die Knie gezwungen. Dabei wurden Aufständische und die eigene Bevölkerung gleichermaßen bekämpft und ausgehungert. "Russland und der Iran machen da keine Unterschiede", sagt Guido Steinberg, Nahost-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Das syrische Militär feiert die Eroberung der jahrelang umkämpften Stadt als "strategische Transformation" im Krieg gegen den Terrorismus. Doch das Regime bezeichnet alle Gruppen, die gegen sie kämpfen, als Terroristen.

Syrien Evakuierung in Aleppo
Viele Zivilisten und Rebellen wurden aus Aleppo in die Provinz Idlib evakuiertBild: Getty Images/AFP/H. Kadour

Aleppo steht für den Krieg

Aleppo ist zum Symbol des seit fast sechs Jahren anhaltenden Krieges in Syrien geworden. Die Stadt war fast seit Beginn der Kämpfe geteilt - zwischen den Truppen des Assad-Regimes in Westaleppo und Rebellengruppen, bestehend aus moderaten, islamistischen und terroristischen Kämpfern in Ostaleppo.

An Aleppo zeigt sich auch die Schwäche der Politik des Westens, allen voran der USA und ihrer Verbündeten, die die moderaten Gruppen nicht durchgängig unterstützt haben. "Der Sieg ist ein großer Erfolg des syrischen Regimes und seiner Verbündeten Russland und Iran", sagt Günter Meyer vom Zentrum zur Forschung zur Arabischen Welt in Mainz. Der Stellvertreterkrieg ist damit aber keineswegs vorbei: ein Krieg, in dem neben dem Iran und Russland auch die Türkei, Saudi-Arabien und eine US-geführte Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mitmischen.

"In der Zukunft wird sich das Hauptkriegsgeschehen nach Idlib verlagern", sagt Meyer. Tausende Rebellen aus Ostaleppo wurden nach Idlib im Nordwesten des Landes gebracht, eine der letzten Rebellenhochburgen in Syrien. Das Regime wird sich dieses Gebiet mit der gleichen Strategie des Aushungerns wie in Aleppo zurückerobern, davon ist Meyer überzeugt. Das wird dem syrischen Regime nur dann gelingen, wenn es weiterhin Unterstützung erhält. "Das Grundproblem des syrischen Staates ist der Mangel an Personal", sagt Guido Steinberg. "Diesen Mangel können sie im Moment durch Russland, den Iran und weitere Milizen aus dem Irak, dem Libanon und Afghanistan ausgleichen."

Hilfe aus Russland

Wie verwundbar die Armee von Syriens Präsident Assad ist, hat die überraschende (Rück-) Eroberung der antiken Stadt Palmyra durch den sogenannten Islamischen Staat gezeigt. Zwischenzeitlich hatten dort wieder Regierungstruppen das Sagen. "Das syrische Regime ist in der Lage, mit massiver Unterstützung seine Kerngebiete zu sichern, mehr aber auch nicht", sagt ARD-Kairo-Korrespondent Volker Schwenck im Interview mit der DW.

Seit Russland im September 2015 mit Luftangriffen in den Krieg eingegriffen hat und auch der Iran tausende Kämpfer und Gerät schickt, geht Assad aber vorerst gestärkt aus dem Krieg hervor. "Die Russen sind bereit weit zu gehen. Es hat sich 2016 gezeigt, dass die Russen fest entschlossen sind, Assad an der Macht zu halten. Das wird auch 2017 so bleiben", sagt SWP-Experte Steinberg.

Assad kontrolliert geografisch zwar nur ein Drittel des Landes, aber er kontrolliert die Ballungsgebiete mit etwa zwei Drittel der Bevölkerung. Dort konzentriert sich die Wirtschaft des Landes, soweit sie nicht zerstört ist, dort hat er Zugang zum Mittelmeer.

Der IS bleibt

Volker Schwenck
Volker Schwenck ist ARD-Korrespondent in KairoBild: SWR

"Es wird weiterhin Gebiete geben, die neue Konflikte mit sich bringen", sagt Nahost-Korrespondent Volker Schwenck. Beispiele seien die Kurdenregion im Norden und Nordosten Syriens, und auch die Gebiete der Terrormiliz Islamischer Staat. Nach Angaben der britischen Denkfabrik IHS hat sich das Gebiet des selbstausgerufenen Kalifats von etwa 90.800 Quadratkilometern im Jahr 2015 auf 68.300 im Herbst 2016 verringert. Die einstige territoriale Ausdehnung des IS ist also bereits erheblich geschrumpft.

Mit den Angriffen auf die syrische Stadt Rakka, die sogenannte Hauptstadt des IS, und auf Mossul im Irak, die wichtigste und bevölkerungsreichste Hochburg des IS, sei das Ende des Kalifats nur noch eine Frage der Zeit, sagt Volker Schwenck. Der Verlust des vom IS kontrollierten Staatsgebietes bedeute aber keineswegs das Ende dieser terroristischen Bewegung. Schwenck geht davon aus, dass sich die Kämpfer des Islamischen Staates in die sunnitischen Kerngebiete zurückziehen werden und in Zukunft aus dem Untergrund weiteragieren.

Die Anschlagsgefahr steigt - weltweit

Zudem haben sie in den vergangenen Monaten ihre Front ausgeweitet, "indem sie vermehrt Anschläge in Europa verübt haben und indem sie ihre Regionalableger in Libyen und in Ägypten gebildet haben", sagt Guido Steinberg. "Das führt zu einer breiteren Präsenz weltweit."

Und auch verschiedene Aufständische werden das Land mit Anschlägen überziehen, da ist sich Guido Steinberg sicher, denn sie würden weiterhin eine Kraft bleiben. Wie stark sie sind, hänge davon ab, wie sehr die Türkei, die USA und auch Saudi-Arabien ihre Unterstützung für die diversen Rebellengruppen fortführen.

Krieg im ärmsten arabischen Land

Jemen Aden Selbstmordanschlag auf Soldaten
Ständig kommt es im Jemen zu Selbstmordanschlägen - so wie hier in der Hafenstadt AdenBild: Getty Images/AFP/S. Al-Obeidi

Saudi-Arabien engagiert sich in einem zweiten Stellvertreterkrieg in der Region. Riad kämpft aktiv im Jemen-Krieg, einem Konflikt, der 2011 als Massenprotest im Zuge der Aufstände in der arabischen Welt begann. Dass die Volksgruppe der Huthis - eine Untergruppe der Schiiten - Unterstützung aus dem Iran bekam, war für Saudi-Arabien Anlass genug, den jemenitischen Konflikt zu einem Angriff des Irans auf saudische Interessen zu erklären.

2014 hatten die Huthis die Regierung von Abd Rabbo Mansour Hadi aus Sanaa vertrieben. Im März 2015 begann dann der saudisch geführte Luftkrieg gegen die Huthis.

Es sollte ein kurzer Krieg werden, doch es ist ein Krieg ohne absehbares Ende geworden, der das ärmste arabische Land in eine Katastrophe stürzte. Tausende Menschen wurden durch beide Kriegsparteien getötet, von den fast 26 Millionen Jemeniten brauchen 21 Millionen Nothilfe. Als im August 2016 Verhandlungen über eine Waffenruhe scheiterten, zerstörten saudische Kampfbomber die Hauptbrücke des Hafens in Houdeidah, und damit die Hauptroute für Hilfstransporte nach Sanaa. Nach Angaben von Unicef stirbt alle zehn Minuten ein Kind - wegen Unterernährung. "Die Hungerkrise im Jemen ist auch eine Folge der Wirtschaftskrise. Es gibt Nahrung, aber die Leute können sich das Essen schlicht nicht mehr leisten," sagt Volker Schwenck, der kürzlich im Jemen gewesen ist. "Der Krieg verschärft die Situation." Und die Menschen im Jemen hätten jede Hoffnung auf Frieden verloren. Das Machtvakuum, das vielerorts entstanden ist, bietet auch der Terrormiliz IS neue Aktionsfelder; Al-Kaida ist im Jemen schon lange aktiv.

Kostspieliger Krieg

Der Krieg kostet Saudi-Arabien ein Vermögen, auch wenn Riad Unterstützung aus Washington erhält, weil man das saudische Königshaus nach dem Atomdeal mit dem Erzfeind Iran nicht noch mehr verärgern wollte. Ägypten allerdings hat Saudi-Arabien die Bitte verweigert, sich am Jemen Krieg an der Seite Riads zu beteiligen. Einer der Gründe, warum die Freundschaft der beiden Länder Risse erhalten hat.

Der Iran kämpft immer noch an der Seite der Huthis und Saudi-Arabien gehen die Ziele aus. Sie haben bereits alles bombardiert. Aus der Luft sei der Krieg nicht zu gewinnen, sagt ARD-Korrespondent Schwenck. Es könnte darauf hinauslaufen, dass es im kommenden Jahr angesichts dieses aussichtslosen Krieges zu einer Waffenruhe kommt, vermutet Günter Meyer. In Syrien ist in der Nacht zum Freitag eine mithilfe der Türkei und Russland ausgehandelte Waffenruhe in Kraft getreten. Ein Ende der Kämpfe auf Dauer ist damit aber nicht unbedingt in Sicht und Frieden schon gar nicht.