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Politik

Waffenstillstand ist kein Garant für Frieden

30. Dezember 2016

Die Waffen in Syrien schweigen zumindest in weiten Teilen des Landes. Doch die Vorgeschichte des Waffenstillstands wirft Fragen nach dessen langfristigen Konsequenzen auf nationaler und regionaler Ebene auf.

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Syrien Russischer Soldat in  Hanono Aleppo
Ein russischer Soldat in AleppoBild: Reuters/O. Sanadiki

Der von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenstillstand in Syrien scheint weitgehend zu halten. Dennoch haben sich Regierungstruppen und Rebellen am Freitag weiter Gefechte geliefert. Zu Angriffen kam es vor allem bei Damaskus und in der Provinz Hama. In anderen Landesteilen wurde die Feuerpause, die um Mitternacht in Kraft getreten war, aber zunächst eingehalten. 

Im Weltsicherheitsrat werde weiter an einer Resolution gearbeitet, ließ der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin nach einer Sitzung verlauten, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit in New York stattfand. Am Samstag solle abgestimmt werden: "Wir haben einen knappen Resolutionsentwurf in Umlauf gebracht in der Hoffnung, dass der Sicherheitsrat diese Regelungen befürworten wird."

Auf einer für Januar geplanten Friedenskonferenz in der kasachischen Hauptstadt Astana, zu der Russland und die Türkei geladen haben, soll der Waffenstillstand zu einer stabilen Waffenruhe ausgebaut werden. Der Waffenstillstand ist nicht nur ein humanitärer Erfolg. Er bekräftigt zugleich den Führungsanspruch, den Russland und seine Verbündeten im Hinblick auf die Beilegung des Konflikts in Syrien stellen.

An der Seite Baschar al-Assads

Der Anspruch ergibt sich nicht nur aus der militärischen, sondern auch der diplomatischen Vorgeschichte des nun erzielten Abkommens. Dieses geht zurück auf ein Treffen Russlands und seiner beiden wichtigsten Verbündeten in Moskau kurz vor Weihnachten. Da trafen sich die Außen- und Verteidigungsminister Russlands, des Iran und der Türkei, um ihr weiteres Vorgehen abzustimmen. US-Außenminister John Kerry hingegen war nicht dabei. Er wie auch andere westliche Politiker waren zu dem Treffen nicht geladen.

Karte Syrien und Nachbarländer DEUTSCH

Auch hatten die drei Verbündeten darauf verzichtet, die Vereinten Nationen zu ihrem Treffen einzuladen oder sich zumindest mit ihnen abzusprechen. Immer wieder hatten die UN in den vergangenen Jahren versucht, Resolutionen gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad durchzusetzen - und immer waren diese am russischen Veto gescheitert. Nun erklärten Russland und seine Verbündeten indirekt, das Assad-Regime weiter stützen zu wollen: "Der Iran, Russland und die Türkei bekräftigen ihre volle Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, Einigkeit und territorialen Integrität der Syrischen Arabischen Republik als multi-ethnischen, nicht-sektiererischen, demokratischen und säkularen Staat", heißt es in der nach dem Treffen veröffentlichten sogenannten Moskauer Erklärung des Trios. Damit gaben sie zugleich zu verstehen, dass sie sich auch von den UN nicht dazu bringen lassen wollten, von ihren Plänen für Syrien abzulassen.

Triumph für Russland, Iran und die Türkei

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die USA und ihre Verbündeten ihre Vorstellungen zur politischen Zukunft Syriens - allen voran der Rücktritt Baschar al-Assads - kaum mehr durchsetzen können. "Nachdem die der syrischen Regierung verbundenen Kräfte gewichtige Geländegewinne verzeichnet haben, sind das neue Bündnis sowie die Absenz aller westlichen Mächte nahezu eine Garantie dafür, dass Präsident Baschar al-Assad unter welcher Regierung auch immer auch künftig über Syrien herrschen wird", schreiben die Polit-Analysten Ben Hubbard und David E. Sanger in der New York Times. "Und das trotz der nun über fünf Jahre zurückliegenden Erklärung Präsident Obamas, dass Assad seine Legitimität verloren habe und von der Macht entfernt werden müsse." Der US-Nahostexperte Andrew J. Tabler vom Washington Institute for Near East Policy hält diese Entwicklung für beunruhigend. "Wenn die Türken, die Iraner und die Russen sich in einem Prozess ohne die USA geeinigt haben, ist das für uns ein Problem", schreibt er in einer Analyse auf der Homepage des Instituts.

Offen ist, wie der designierte Präsident Donald Trump auf diese Herausforderung reagieren wird. Die Vorstellungen der Trump-Administration zu Syrien sind bislang bestenfalls in Umrissen erkennbar. Nach bisherigem Stand scheint die Priorität für sie aber im Kampf gegen den "IS" und vergleichbare Gruppen zu bestehen. Diesen Kampf haben Moskau und Iran durch die Einnahme Aleppos zumindest vorläufig entschieden - so dass aus Trumps Sicht womöglich kein militärischer Handlungsbedarf in Syrien mehr besteht. Das dem Vernehmen nach gute Verhältnis zwischen Trump und Putin könnte zudem dazu führen, dass auch Russlands Partner Iran und die Türkei ihr Verhältnis zur neuen US-Regierung verbessern.

Wladimir Putin und Sergey Shoygu
Kompliment von ganz oben: Putin gratuliert seinem Verteidigungsminister Shoygu zum Waffenstillstandsabkommen für SyrienBild: picture alliance/Kremlin Press Center

Iran kooperiert mit Hisbollah

Offen ist, was das russische Engagement in Syrien für den Nahen Osten insgesamt bedeutet. Zwar hat Putin mit der Türkei und Ägypten nun auch zwei sunnitische Partner mit im Boot. Ob die Sunniten, die mit Abstand größte konfessionelle Bevölkerungsgruppe in der Region, sich davon beeindrucken lassen, ist allerdings offen.

Wahrscheinlich ist das nicht. Eher im Gegenteil: Mit dem Iran hat Moskau zudem einen Verbündeten zur Seite, der mit seiner Eliteeinheit, den Revolutionsgarden, seit Jahren das vielen Sunniten verhasste Assad-Regime unterstützt. Außerdem greift der Iran auf die Dienste einer in den USA und Europa ganz oder in Teilen als Terrororganisation eingestuften Gruppe - der von Teheran geschaffenen Hisbollah aus dem Libanon - zurück.

Skepsis der Sunniten

Auch darum dürfte die Präsenz Ägyptens und der Türkei die Sunniten kaum beruhigen. Wenn es soweit kommt, dass der Waffenstillstand hält und es gar zu einer Einigung rund um Syrien gibt, dürfte der Iran sich sein Engagement politisch honorieren lassen - vorzugsweise durch größeren Einfluss in der Region. Damit würde die Stimme Teherans nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak maßgeblich. Dazu werde es sehr wahrscheinlich auch kommen, erwartet die politische Analystin Raghida Dergham: "Die Verantwortlichen in Moskau werden gegen dieses Ansinnen nicht protestieren, denn sie wissen, dass der Iran den IS aus Syrien und dem Irak vertreiben will, um dort das Projekt des schiitischen Halbmondes (ein schiitischer dominierter Bogen vom Iran über den Irak bis hin zum Libanon, Anm. d. Red.) zu verwirklichen. Dieses Ziel hat für den Iran strategische Priorität", schreibt sie in der in London erscheinenden Zeitung Al Hayat.  

Dieses Projekt könnte die Probleme der Region noch verstärken. Denn schon jetzt zeigt sich etwa im Kampf um das irakische Mossul wie gespannt das Verhältnis zwischen Sunniten und Schiiten ist. Die sunnitischen Zivilisten rund um Mossul wurden bereits Opfer von Racheakten schiitischer Milizen. Die Sunniten fürchten zudem, aus ihren angestammten Gebieten verdrängt zu werden. Würden die Schiiten zur neuen starken Kraft in und um Mossul, stünde der Irak noch stärker unter dem Diktat einer konfessionellen Logik als bislang schon. Das könnte auf die gesamte Region abfärben.

Syrien Zivilist wird von Hilfskräften in Aleppo evakuiert
Jahrelanges Martyrium: Szene aus AleppoBild: Getty Images/AFP/O. H. Kadour

Auch an einer anderen Front könnten durch den russisch-schiitischen Triumph eventuell neue Probleme entstehen. So sähe sich Israel der Hisbollah nicht nur wie bislang im Libanon, sondern auch in Syrien gegenüber. Das dürfte der jüdische Staat, der sich durch die Hisbollah massiv herausgefordert sieht und sie im Libanon wiederholt bekämpfte, kaum hinnehmen. Unbestätigten Berichten zufolge griff die israelische Luftwaffe Ende November Stellungen der Hisbollah in der Nähe von Damaskus an. Setzt sich die Präsenz der Hisbollah in Syrien dauerhaft fort, dürfte dieser Angriff nicht der letzte gewesen sein.

So ist der nun von Russland und der Türkei erzielte Waffenstillstand eine Chance. Er birgt aber auch zahlreiche Risiken.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika