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Syriens kulturelle Verluste

Elizabeth Grenier / ml5. September 2013

Die humanitäre Lage in Syrien bleibt besorgniserregend. Gleichzeitig bedeutet der Konflikt, dass hunderte kulturelle Schätze zerstört wurden. Die UNESCO versucht, weitere Schäden abzuwenden.

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Zitadelle Saif al-Daula in Aleppo, Syrien
Die Zitadelle Saif al-Daula in Aleppo ist WeltkulturerbeBild: picture alliance/Bildagentur Huber pixel

Die Unsicherheit über ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft und die unerträgliche Anzahl von Todesopfern dominieren die Debatte über den Syrien-Krieg. Angesichts dessen erscheint eine Diskussion über materielle Verluste zweitrangig.

Die Zerstörung des reichen kulturellen Erbes des Landes ist dennoch ein schwerwiegender Verlust für die Menschheit. Irina Bokowa, Generaldirektorin der UNESCO, betonte in einem Appell, es bedeute nicht, dass man über die humanitäre Tragödie hinweg sehe, nur weil man auch dem kulturellen Aspekt des Konfliktes Bedeutung beimisst. Die Zerstörung dieses kulturellen Erbes sei "Teil der humanitären Katastrophe in Syrien", sagte sie.

Bomben, Geschütze und Diebe

Francesco Bandarin, stellvertretender Generaldirektor der UNESCO für Kultur, ist zutiefst besorgt über die Auswirkungen des Krieges auf die historischen Denkmäler Syriens. "Die Situation ist katastrophal, viel schlimmer als man sich vorstellen kann", sagte er der Deutschen Welle.

Es gibt drei Arten von Schäden, die das kulturelle Erbe Syriens treffen. So hat der bewaffnete Konflikt antike Städte und Anlagen beschädigt. Historische Gebäude wurden zerstört, besonders in Städten wie Aleppo und Homs. Der Souk von Aleppo, ein historisches Geschäftsviertel, das seit 4000 Jahren als Treffpunkt für internationale Händler diente, brannte 2012 nieder.

Das historische Aleppo ist eine von sechs UNESCO-Weltkulturerbestätten in Syrien. Weitere sind die Altstadt von Damaskus und Bosra, antike Dörfer in Nordsyrien, das Schloss "Crac des Chevaliers" aus der Zeit der Kreuzzüge, die Festung Qal'at Salah El-Din sowie die Ruinen in der Oase Palmyra. Diese wurden durch den Bürgerkrieg in Mitleidenschaft gezogen und wurden kürzlich zur Liste der gefährdeten UNESCO-Weltkulturerbestätten hinzugefügt.

Weitere Verluste gibt es durch Diebstähle in Museen. Bedeutende historische Fundstücke wurden aus mindestens sechs Museen entwendet. Glücklicherweise sind die 77.000 Ausstellungsstücke aus Syriens archäologischen Museen nun an einem sicheren Ort untergebracht.

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Die Oase Palmyra gehört zum WeltkulturerbeBild: Fotolia/waj

Illegale Ausgrabungen und das organisierte Verbrechen

Außerdem werden archäologische Fundstellen durch illegale Grabungen zerstört. Laut Bandarin ist das das größte Problem. "Wenn man das Minarett der Umayyad-Moschee in Aleppo zerstört, ist das zwar eine Katastrophe, aber es kann eines Tages wieder aufgebaut werden. Aber wenn Leute irgendwelche Dinge einfach mitnehmen, wird man diese niemals wiederbekommen."

Karin Bartl war Leiterin der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in Damaskus. Sie erklärt, dass alle Forscher ihres Instituts aus Syrien abgezogen wurden, als die Unruhen 2011 begannen. Seit zwei Jahren gibt es nun keine ausländische archäologische Forschung mehr dort.

Von ihrem neuen Standort in Jordanien aus sammelt sie nun Informationen über die Lage, die sie von syrischen Kollegen und über das Internet bekommt. "Nach unseren Informationen wurden die Grabungsstätten des Deutschen Archäologischen Instituts bisher nicht geplündert, aber es findet definitiv eine gewaltige Zerstörung von Syriens kulturellem Erbe statt", teilte sie der Deutschen Welle in einer E-Mail mit. Gemeinsam mit anderen Repräsentanten archäologischer Forschungsstellen hat Bartl daran mitgewirkt, der UNESCO zu zeigen, welche Objekte durch Plünderungen gefährdet sind. Viele Grabungsstätten wurden tatsächlich durchwühlt.

Satellitenaufnahmen der Ruinen von Apamea, die vor und während des Kriegs gemacht wurden, zeigen das Ausmaß der Zerstörung: Die Stelle sieht aus, als sei sie zerbombt worden, aber die Krater sind durch illegale Grabungen entstanden. Die syrische Regierung hat unterdessen eine Medienkampagne mit dem Titel "Syrien, meine Heimat" ins Leben gerufen. Darin wird die Bevölkerung aufgerufen, archäologische Fundstätten zu schützen.

Francesco Bandarin aber erklärt, dass die Zerstörung nicht das Werk der örtlichen Landarbeiter sei. "Das sind keine spontanen Aktionen. Das ist organisierte Kriminalität mit einer Kette von Befehlsgebern. Der Markt für den illegalen Handel mit Kulturgütern ist riesig. Wir sind da kein ebenbürtiger Gegner, sondern sehr schwach." Diese Verbrecherkreise zu stoppen sei unmöglich, so Bandarin. Aber: "Das heißt nicht, dass wir es nicht wenigstens versuchen sollten."

Politische Neutralität zum Schutze der Kultur

Die UNESCO hat einen Plan entwickelt, um weitere Zerstörung zu verhindern, obwohl der Konflikt Einsätze in Syrien unmöglich macht. "Das Wichtigste ist, dass wir die Geschwindigkeit ändern, obwohl es sehr schwierig ist, in Syrien zu agieren", so Bandarin.

In ihrem Appell an die Konfliktparteien erinnerte die UN-Organisation an internationale Verträge wie die Konvention zum Schutze der Kulturgüter im Falle eines bewaffneten Konflikts von 1954, die auch von Syrien unterzeichnet wurde.

Obwohl solche Vereinbarungen in der Hitze des Gefechts leicht in Vergessenheit geraten, haben sowohl die Rebellen als auch die Regierung ihre Bereitschaft gezeigt, das Verschwinden der kulturellen Schätze des Landes zu verhindern. Der Generaldirektor für Antiquitäten und Museen, Maamoun Abdulkarim, arbeitet mit der UNESCO zusammen und erstellt regelmäßig Berichte über die Situation. In einem Report rief er zu einem neutralen Handeln zum Schutz der Kultur auf und bat um politisch neutrale Unterstützung.

Laut Bandarin hat die syrische Regierung Abdulkarim die Genehmigung erteilt, mit den Rebellen über den Schutz der historischen Stätten zu verhandeln. Abdulkarim ernennt Leute, die die kulturellen Schätze in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten schützen sollen. Die Rebellen, so hat es den Anschein, akzeptieren diese Beauftragten auch.

Dennoch werden die Versuche, die Grabungsstätten zu bewachen, manchmal durch organisatorische Probleme blockiert. Beispielsweise war es aufgrund der Situation im Land nicht möglich, Geld zu transferieren, mit dem die Wachleute an den Ausgrabungsorten bezahlt werden konnten. Außerdem sei es in der Praxis nicht machbar, alle 10.000 archäologischen Stätten rund um die Uhr zu überwachen.

"Es ist notwendig, dass wir das machen"

Weitere Aktionen der UNESCO bestehen darin, Fundstücke zu identifizieren, mit denen möglicherweise auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Außerdem arbeitet die Organisation mit verschiedenen internationalen Partnern wie INTERPOL, der Polizei und den Zollbehörden der Nachbarländer zusammen. Ähnliche Maßnahmen gab es bereits im Irak, Afghanistan, Ägypten und Libyen.

Dank dieses Engagements wurden einige syrische Fundstücke bereits aufgespürt und zurückgegeben. Diese kleinen Erfolge ermutigen die UNESCO, ihre Arbeit in der Region fortzusetzen. "Wir können die Situation nicht umkehren. Im Gegenteil, unsere Aktionen sind nur Tropfen auf den heißen Stein. Aber es ist notwendig, dass wir das machen", so Bandarin.