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Säure gegen das weibliche Selbstbewusstsein

Ana Lehmann18. März 2006

Tausende junge Frauen werden weltweit bei Säureattentaten entstellt oder getötet. Täter sind oft abgewiesene Liebhaber. Monira Rahman aus Bangladesch kämpft dagegen. Sie erhält nun den Amnesty-Menschenrechtspreis.

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Monira Rahman mit Opfern von Säure-AttentatenBild: AP

Monira Rahman, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation "Acid Survivors Foundation", kämpft seit seit Jahren dafür, dass diese Verbrechen geächtet werden. Ihre Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit aufzuklären und die Opfer zu betreuen. Für ihren unermüdlichen Einsatz gegen diese Art von Menschenrechtsverletzungen erhält Monira Rahman in diesem Jahr den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Am 19. März wird sie den Preis im Deutschen Theater in Berlin entgegennehmen.

Entstellt, aber stark

Monira Rahman hatte Philosophie studiert und arbeitete in einem Programm für Obdachlose, als sie 1997 zum ersten Mal zwei junge Überlebende von Säureangriffen sah. Diese Begegnung veränderte ihr Leben: Sie war geschockt, erschrocken, aber auch überrascht, wie sie sich erinnert. "Sie waren sehr selbstbewusste, sehr starke Mädchen. Sie hatten eine umfassende Sichtweise zum Thema Gewalt gegen Frauen und dazu, was wir tun sollten." Zu diesem Zeitpunkt entschloss sie sich, mit ihnen zu arbeiten, etwas für sie zu tun.

Als 1999 der Brite John Morrison die "Acid Survivors Foundation", eine Hilfsorganisation für Säureopfer in der Hauptstadt Dhaka gründete, war Monira Rahman dabei. Wenig später übernahm sie die Geschäftsführung. "In der ersten Zeit wusste kaum jemand, wie viele Säureattentate es in unserem Land gab", erinnert sie sich. Weit mehr als 2000 Opfer hat die Stiftung seither registriert. "Doch die Dunkelziffer ist sehr viel höher", vermutet Monira Rahman. Sie will das Leid der Betroffenen ans Licht der Öffentlichkeit bringen.

Verheiratet mit acht Jahren

Es sind Geschichten, wie die von Lilima, einem jungen Dorfmädchen: Sie war erst acht Jahre alt, als sie mit einem 45-jährigen Mann verheiratet wurde. Lilima war nicht in der Lage, ihren Mann sexuell zufrieden zu stellen. Der Ehemann schlug sie, vergewaltigte sie und die Schwiegereltern zwangen sie zur Hausarbeit. Daher ging sie, als sie zehn war, zu ihren Eltern zurück. Die entschieden, dass sie nicht zu ihrem Ehemann zurück musste. Der Dorfrat akzeptierte diese Entscheidung und erklärte dem Ehemann, er dürfe Lilima erst wiederhaben, wenn sie erwachsen sei. Der Mann war wütend. Er schüttete Säure auf sie, um ihre Schönheit zu zerstören.

Säureattentate treffen fast nur Frauen. Sehr oft sind sie noch jung, höchstens 13 oder 14 Jahre alt. 80 Prozent der Opfer kommen vom Land. Meist erfahren sie diese Gewalt, weil sie sich sexuellen Avancen oder Heiratsangeboten verweigern. Auch Ehefrauen, deren Eltern mit neuen Mitgiftforderungen des Ehemannes konfrontiert werden, diesen aber nicht nachkommen können oder wollen, sind betroffen. "Wenn die Männer meinen, einer Frau gegenüber ihr Gesicht zu verlieren, dann zerstören sie das Gesicht dieser Frau, um ihre eigene Ehre wieder herzustellen", sagt die Menschenrechtlerin Rahman.

Mit den Chancen der Frauen beginnen die Probleme der Männer

Jetzt hat eine neue Frauengeneration in Bangladesch begonnen, sich mit Jobs in der Textilindustrie und mit Kreditprogrammen unabhängiger zu machen - für viele Männer eine Provokation. Frauen werden immer unabhängiger im Wirtschaftssektor. Es ist offensichtlich in vielen Fällen schwierig für die männlichen Partner oder die Familienmitglieder, ihre freie Mobilität zu akzeptieren. Frauen und Mädchen werden daher Opfer der Gewalt in verschiedenen Formen.

Die Augenlider von Lilima sind durch die Säure zerstört und ihre Nase weggefressen. Die Unterlippe war mit dem Kinn verschmolzen und das Kinn klebte auf der Brust. Zehn Jahre verbrachte das Mädchen verborgen hinter den Mauern ihres Elternhauses. Doch eines Tages erfuhr sie, dass Monira Rahman inzwischen mit Spendengeldern zwei Kliniken aufgebaut hatte, wo Narben operiert werden, wo etwas gegen die Schmerzen getan wird. Hier bat auch Lilima um Hilfe. Ein Jahr lang arbeiteten Spezialisten daran, ihr Gesicht einigermaßen wiederherzustellen, so dass sie schließlich besser essen und atmen konnte.

Gesicht reparieren reicht nicht

"Aber es reicht nicht, das Gesicht durch kosmetische Eingriffe zu reparieren", betont Monira Rahman. Auch das Selbstbewusstsein - das gerade diese Frauen vor dem Attentat in hohem Maße besaßen - muss mühsam wieder aufgebaut werden. In dem Rehabilitationszentrum der Säureopfer-Stiftung erhalten die "Überlebenden", wie sie sich selbst nennen, psychologische und soziale Betreuung. Wir sind uns alle gegenseitig eine Stütze, erzählt die Leiterin Rahman: "Wir können zusammen weinen." Aber es gibt auch positive Situationen, erzählt Rahmnan. Etwa wenn ein Mädchen einen Anschlag am Ende doch überlebt. "Wenn wir dann nach eins, zwei Monaten sehen, sie wird überleben, das gibt uns Kraft. Wenn wir sehen, dass ein Täter verfolgt und verurteilt wird: Das gibt uns Kraft. Wenn wir sehen, dass eine junge Überlebende zur Aktivistin wird: Das gibt uns Kraft."