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Tödliche Rückkehr einer Modedroge

16. März 2005

In den Drogenberichten der vergangenen Jahre tauchte das Problem nur noch am Rande auf. Jetzt wird aus den USA wieder ein Anstieg des Missbrauchs von Schnüffelstoffen gemeldet.

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Zum Beispiel Klebstoffdämpfe aus der PlastiktüteBild: AP

Der 16-jährige Ricky Stem lag tot mit einer Plastiktüte über dem Kopf im Haus seiner Eltern in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee. Seine Eltern waren entsetzt, als sie hörten, dass ihr Sohn das Gas aus der Klimaanlage geschnüffelt hatte. Rickys Schicksal droht auch manch anderem unter den Hunderttausenden von Jugendlichen, die sich in den USA mit Alltagsgiften in einen Rausch versetzen. Die US-Jugend inhaliert jüngsten Untersuchungen zufolge wieder verstärkt Klebstoff, Haarspray, Nagellackentferner oder andere gefährliche Chemikalien. Fast jeder fünfte Teenager hat demnach schon einmal mit Schnüffelstoffen experimentiert.

Die Modedroge der 1990er-Jahre sei wieder im Trend, sagte der Psychologe und Forschungsleiter an der Universität Michigan, Lloyd Johnston. Die Hochschule wertet jedes Jahr das Drogen-Verhalten von mehr als 50.000 repräsentativ ausgewählten Schülern aus. Während der Drogenkonsum unter US-Jugendlichen 2004 insgesamt zurückging, hat der Missbrauch von Schnüffelstoffen zugenommen, besagt die Studie.

Ahnungslose Eltern

"Normalerweise haben Eltern keine Ahnung, dass ihre Kinder schnüffeln", berichtete Johnston. Schnüffelstoffe sind auch deshalb attraktiv, weil sie leicht zugänglich sind. Sie sind zum Beispiel in normalen Spraydosen enthalten. "Nicht jede Familie hat Kokain unter ihrem Spülbecken, aber jede Familie hat dort Reinigungsmittel", sagte ratlos Rickys Mutter, Diane Stem, die sich natürlich bittere Vorwürfe macht. "Wir hatten unseren Sohn vor Alkohol und Drogen gewarnt. Aber wir wussten nichts über Schnüffeln." Ihr Sohn habe keine Zeichen von Abhängigkeit gezeigt, er war ein hervorragender Schüler und erfolgreicher Baseball-Spieler.

Viele Jugendliche unterschätzen die Gefahr des Schnüffelns. So auch der 17-jährige Johnson Bryant aus St. Simon's Island in Georgia, der seinen Eltern sagte, er fahre kurz mit dem Auto zur Drogerie. Doch er kam nie wieder zurück. Die Polizei fand ihn tot in seinem Auto, das gegen einen Baum geprallt war, nachdem Johnson Bryant Butangas geschnüffelt hatte und sein Herz stehen geblieben war. Seine Mutter Toy Slayton hatte vorher noch nie vom Schnüffeln gehört. Doch die Schnüffelstoffe sind legal und günstig. "Für weniger als fünf Dollar musste mein Sohn sterben", sagte Slayton.

Russisches Roulette

Die inhalierten Substanzen gelangen in kurzer Zeit ins Gehirn und berauschen wie reichlicher Alkoholgenuss. Die Rauschzustände klingen oft nach wenigen Minuten wieder ab. Das Hochgefühl kann aber auch Stunden andauern. Regelmäßiger Konsum beeinträchtigt Medizinern zufolge das Nervensystem. Konzentrationsschwierigkeiten, Nasenbluten, Husten, Erbrechen oder Hautschäden können folgen. "Schnüffeln ist wie russisches Roulette: Du kannst beim 1. oder beim 50. Mal sterben", sagt der Direktor der Nationalen Inhalationsstoff-Präventionskoalition, Harvey Weiss.

Viele Todesfälle durch Schnüffeln würden aber nicht gemeldet, weil es schon wenige Minuten nach dem Konsum schwer sei, die Stoffe im Körper nachzuweisen, sagte Kim Manlove aus Indianapolis im US-Bundestaat Indiana. Sein 16-jähriger Sohn David ertrank im Schwimmbecken, nachdem er aus einer Sprühdose inhaliert hatte und tauchte, um den Rausch zu intensivieren. Die Autopsie zeigte keine Spuren von Drogen. David Manlove hatte nach Alkohol- und Marihuana-Missbrauch eine Drogentherapie erfolgreich absolviert und wurde deshalb regelmäßig auf Drogen getestet. "Er war wie viele andere Jugendliche heutzutage, die alles daran setzen, 'high' zu werden" sagte der Vater bitter.