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Tödliches Spiel

Cornelia Rabitz4. Juni 2012

Im Sommer 1942 traf in Kiew eine deutsche Fußballmannschaft auf ein ukrainisches Team. Die Wehrmacht war einmarschiert: Kein normales Match, denn die einen waren Besatzer, die anderen Besetzte.

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Fußball mit Hakenkreuzfahnen. Historisches Fußballspiel 1942 in Kiew. Foto aus einer Filmszene des neuen Spielfilms "Match" (Foto:Central Partnership, Inter-Film/AP/dapd)
Fußball unter Hakenkreuzen: 1942 im besetzten KiewBild: dapd

August 1942 – seit mehr als einem Jahr ist die ukrainische Hauptstadt Kiew, ist die Sowjetrepublik Ukraine von der deutschen Wehrmacht besetzt. So genannte Einsatzgruppen haben ein Schreckensregiment errichtet. Hunderttausende Zivilisten – Juden und Kommunisten vor allem – sind ermordet. Die anfängliche Begeisterung eines Teils der Bevölkerung, der sich von den Deutschen die Befreiung vom Sowjetkommunismus erhofft hatte, ist längst verflogen. Angst und Hunger herrschen in der Stadt. Die jüdische Gemeinde Kiews ist ausgelöscht, 10.000 Menschen sind allein im September des Vorjahres  in die Schlucht von Babij Jar getrieben und erschossen worden. Einheimische haben dabei Handlangerdienste verrichtet. Da geschieht etwas ganz und gar Unerhörtes.

Demütigung der Besatzer

Zur Hebung der "Moral" – so jedenfalls lassen die Besatzer wissen – werden im Sommer 1942 mehrere Fußballspiele angesetzt. Man kalkuliert kühl: Demonstriert werden soll auch so etwas wie eine 'Normalität' im Schatten der Okkupation. Auf der einen Seite kämpft eine Mannschaft aus deutschen Soldaten um den Sieg auf dem Rasen, auf der anderen die Spieler des "FC Start", angeblich die Betriebssportgruppe einer Kiewer Brotfabrik. Hinter diesem unverfänglichen Namen verbergen sich aber tatsächlich die besten Fußballer der Ukraine, Top-Sportler, die zuvor bei den inzwischen aufgelösten Vereinen Dynamo Kiew und FC Lokomotive gespielt haben. Schon einmal fegten sie eine Elf aus Luftwaffenangehörigen buchstäblich vom Platz. Jetzt ist eine Revanche angesagt.

Deutsche Wehrmachtssoldaten fahren in Kiew ein ddp images/AP Photo)
Sommer 1941: Die Wehrmacht besetzt auch KiewBild: AP

Die Ränge im Zenit-Stadion sind überfüllt. Man sieht nicht nur Wehrmachts- und SS- Uniformen, auch Bewohner der Stadt sind gekommen. Es muss eine merkwürdige, eine ambivalente Atmosphäre geherrscht haben an diesem heißen Sommertag. Zur Halbzeit steht es, trotz massiver Fouls der deutschen Spieler und eines parteiischen deutschen Schiedsrichters, bereits 3:1 für die ukrainische Mannschaft. Die Einheimischen jubeln. Am Ende ist, ungeachtet aller Drohungen, die Demütigung der Deutschen perfekt, es steht 5:3.

Todesspiel

 Was dann geschieht konnte bis heute nicht völlig geklärt werden. Fest steht, dass einige der Kiewer Fußballer wenige Tage später verhaftet wurden. Ob das in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Spiel geschah, wird indes von Historikern bezweifelt. Einer der Sportler arbeitete zugleich auch für den sowjetischen Geheimdienst und geriet deshalb in die Fänge der Gestapo. Er kam in einem Gefängnis um. Mehrere andere – darunter Torwart Nikolaj Trussewitsch - wurden in das Konzentrationslager Syrez gebracht, gefoltert und später erschossen, die genauen Umstände konnten nicht rekonstruiert werden. Und ob das Match ein regelrechtes 'Todesspiel' unter der Drohung "verlieren oder sterben" gewesen ist, gilt ebenfalls als nicht gesichert. Auf einem gemeinsamen Foto, aufgenommen unmittelbar nach dem Spiel 1942, sehen beide Mannschaften ziemlich entspannt aus.

Werrbeplakat für das so genannte Todesspiel zwischen Flakelf und ukrainischer Mannschaft. Quelle: Wikipedia. GEMEINFREI Date 1942-08-09 \ 13 February 2006 (original upload date) Source Киевский телеграф, 10-16 августа 2007, стр. 12, свой скан бумажной версии. Transferred from en.wikipedia; transferred to Commons by User:Sreejithk2000 using CommonsHelper. Author оккупаційна адміністрація \ Original uploader was Kmorozov at en.wikipedia GEMEINFREI
"Start" gegen "Flakelf": Fußball zwischen Besetzten und Besatzern.

Eine Legende entsteht

Dennoch rankten sich in der sowjetischen Propaganda nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Legenden um die Kiewer Elf. Spieler wurden posthum zu Helden verklärt und mit Orden ausgezeichnet. Der 1962 gedrehte Spielfilm "Dritte Halbzeit" tat ein Übriges. Er zeigte todesmutige Sportler, die dem faschistischen Feind auf dem Fußballfeld entgegentraten, aus patriotischer Gesinnung heraus bewusst den Tod riskierten und sämtlich umgebracht wurden. Ein Mythos war geboren. "Alle bei uns kennen die Legende noch heute", sagt der ukrainische Journalist Sachar Butyrski. "Ich habe davon schon als Kind gehört. Interessant ist dabei, dass einige der überlebenden Fußballer ignoriert und vergessen wurden. Sie haben den Heldenmythos wohl gestört. Bis zur Perestroika war es allerdings nicht erwünscht, den Tatsachen auf den Grund zu gehen. Im Kalten Krieg brauchte man das Propaganda-Bild vom bösen Deutschen." Drei Skulpturen erinnern inzwischen vor dem Dynamo-Stadion in Kiew noch heute an die Fußballer.

Spurensuche

Während in der Ukraine die beteiligten Sportler namentlich bekannt und verehrt wurden, blieben die deutschen Fußballer weitgehend unbekannt. Sie waren ja schließlich Soldaten. Regisseur Claus Bredenbrock hat das Thema 2005 in einem Dokumentarfilm aufgegriffen. Er hat vergeblich versucht, über öffentliche Aufrufe Zeugen oder Beteiligte zu finden und sagt: "Ein großer Teil der Verbände, die in Kiew 1942 Dienst getan haben, wurden später nach Stalingrad verlegt. Und von denen haben ohnehin kaum Soldaten überlebt. Was die anderen betrifft, so stelle ich mir vor, dass diejenigen, die das alles mitgemacht und miterlebt haben, kein großes Bedürfnis hatten, das in der Öffentlichkeit zu diskutieren."

Denkmal vor Stadion in Kiew, zur Erinnerung an das Fußballspiel 1942. Im Auge des deutschen Adler ein Hakenkreuz. http://maps.google.de/?ie=UTF8&ll=50.455731,30.480934&spn=0.001687,0.004823&t=h&z=18 Datum 3. September 2008 Quelle Eigenes Werk Urheber Erstmalklarkommen Quelle: Wikipedia http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:The_Death_Match_Monument.JPG&filetimestamp=20090928195538
Fußballer in Heldenpose, Hakenkreuz im Adlerauge: Eines von drei Denkmälern, die in Kiew an das "Todesspiel" erinnernBild: cc-by-sa/Erstmalklarkommen

Juristisches Nachspiel

1973 erst hatte man in der damaligen Bundesrepublik von dem so genannten 'Todesspiel' und seinen  Folgen erfahren. Damals hieß es noch, die ukrainischen Spieler seien unmittelbar nach dem Match exekutiert worden. Die Hamburger Staatsanwaltschaft nahm wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen Ermittlungen auf. Das Verfahren wurde jedoch ergebnislos eingestellt. Regisseur Claus Bredenbrock erinnert sich: "Es gab sogar noch während unserer Dreharbeiten erneute strafrechtliche Ermittlungen, weil Mord nicht verjährt. Aber um Mord verurteilen zu können, braucht man natürlich einen konkreten Tathinweis auf einen konkreten Täter. Das alles ließ sich überhaupt nicht mehr rekonstruieren."

Deutscher Dokumentarfilm

Für den Filmemacher ist eines jedoch klar: Die Fußballspiele fanden in einem bestimmten politischen Zusammenhang statt. Sie waren ein Teil der deutschen Besatzungs- und Mordgeschichte: "Vier von neun verhafteten Spielern haben ihren Sieg mit  dem Leben bezahlt,  ein weiterer ist schon im Gestapo-Hauptquartier umgekommen". Man müsse wohl einen Zusammenhang zwischen dem Match und den Verhaftungen vermuten: "Es gibt sonst eigentlich keinen Grund, warum man plötzlich neun Fußballer verhaftete, die bis dahin eine ganze Reihe von Spielen absolviert hatten."

… und noch ein Film

Jetzt freilich sorgt ein neuer russischer Film für Diskussionen: "Match" von Andrej Maljukow wurde in der Ukraine verspätet gestartet. Ihm wird nachgesagt, ein neuer Aufguss des Heldenfilms von 1962 zu sein. "Hier werden die alten Klischees gezeigt: Böse, ukrainisch sprechende Kiewer, die mit den Nazis kollaboriert haben, Verräter waren, Hilfs- und Polizeidienste versahen und andererseits gute russischsprachige Patrioten, die Freunde Moskaus sind", kritisiert Sachar Butyrskij. Regisseur Claus Bredenbrock sieht jedoch in dieser Debatte auch eine Chance. Bis heute nämlich seien Fragen der Kollaboration nur unzureichend im öffentlichen Bewusstsein des Landes verankert. "Die vorbehaltlose Beschäftigung mit dieser historischen Epoche hat – wenn überhaupt – gerade erst angefangen."