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Türkei-Deal stößt auf viel Skepsis

Christoph Hasselbach, Brüssel17. März 2016

Zum zweiten Mal in wenigen Tagen beraten die EU-Regierungschefs über ein Abkommen mit der Türkei, um gemeinsam das Flüchtlingsproblem zu lösen. Die Aussichten sind nicht besser geworden. Aus Brüssel Christoph Hasselbach.

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Merkel und Hollande (Foto: Reuters/S. de Sakutin/Pool)
Bild: Reuters/S. de Sakutin/Pool

"Ich bin vorsichtig optimistisch, aber, offen gesagt, mehr vorsichtig als optimistisch", hat EU-Ratspräsident Donald Tusk vor dem Gipfel über eine Lösung der Flüchtlingskrise zusammen mit der Türkei gesagt. Dieser Bewertung wollte sich auch Bundeskanzlerin Merkel anschließen, vieles sei noch zu regeln. Drei Dinge sind Tusk wichtig: Alle 28 EU-Mitgliedsstaaten müssten eine Vereinbarung mittragen - das allein scheint zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu erreichen. Eine Lösung müsse mit internationalen Rechtsnormen vereinbar sein - und schließlich müsse eine Einigung auch wirklich die Krise bewältigen helfen.

Die Lösung, für die sich vor allem die deutsche Kanzlerin sehr stark eingesetzt hat, sieht so aus: Die Türkei verspricht, von einem Stichtag an alle Flüchtlinge, die von der Türkei auf die griechischen Inseln übergesetzt sind, zurückzunehmen, und zwar egal, aus welchen Herkunftsländern sie kommen. Für jeden zurückgenommenen Syrer würde die EU der Türkei einen weiteren Syrer abnehmen und legal nach Europa einreisen lassen.

Man verspricht sich davon einen kombinierten Anreiz- und Abschreckungseffekt: Wer illegal nach Europa kommt und dann in die Türkei abgeschoben wird, müsste sich ganz hinten in die Schlange derer stellen, die es legal schaffen wollen. Dem Schleuserwesen würde der Theorie nach der Boden entzogen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, dessen Land gerade die Ratspräsidentschaft hat, gab sich überzeugt, die Überfahrten der Schleuserboote nach Griechenland ließen sich bei einer Einigung mit der Türkei "in drei oder vier Wochen stoppen".

volles Flüchtlingsboot (Foto: Getty Images/A. Koerner)
Nach wie vor setzen jeden Tag Flüchtlingsboote von der Türkei zu griechischen Inseln überBild: Getty Images/A. Koerner

Ein hoher Preis

Doch der Preis der Türkei ist hoch. Sie will zusätzlich zu den zugesagten drei Milliarden Euro zur Versorgung von Flüchtlingen weitere drei Milliarden haben, was der tschechische Präsident Milos Zeman "Erpressung" genannt hat. Außerdem fordert Ankara, dass bereits im Sommer alle türkischen Staatsbürger visumfrei in die EU reisen können. Schließlich sollen die Verhandlungen um einen türkischen EU-Beitritt, die seit 2005 laufen, aber blockiert sind, wiederbelebt und ausgeweitet werden.

Bei sämtlichen Aspekten tun sich gewaltige Hürden auf. "Ich glaube, das vorgeschlagene Paket ist kompliziert, wird schwierig umzusetzen sein und befindet sich am Rande der Legalität des Völkerrechts", gab sich die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite skeptisch.

Da sind zum Beispiel die Bedenken, ob man mit einer zunehmend autoritär regierten Türkei in dieser Frage überhaupt zusammenarbeiten dürfe. Flüchtlingshilfsorganisationen und die Vereinten Nationen haben auch angemahnt, die Türkei dürfe zurückgenommene Nicht-Syrer nicht pauschal in ihre Heimatländer abschieben, denn manchen drohe dort Verfolgung.

Menschenrechtler sagen auch, eine Massenabschiebung aus Griechenland sei rechtlich nicht zulässig. Barbara Lochbihler, außenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Europaparlament, klagt: "Die Mitgliedsstaaten wollen den individuellen Asylanspruch durch eine Umsiedlung ersetzen und Kriegsflüchtlinge letztlich vom guten Willen europäischer Regierungen abhängig machen." Doch das wird nach den Worten von Angela Merkel nicht passieren. Es sei wichtig, "dass jeder Flüchtling individuell betrachtet wird und seine Rechte wahrnehmen kann".

Anti-Türkei-Deal-Plakat (Foto: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo)
Kritiker sehen die Verhandlungen als böses Spiel auf dem Rücken der FlüchtlingeBild: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo

Zypern könnte sein Veto einlegen

Es gibt aber auch Politiker, die davor warnen, sich zu stark von der Türkei abhängig zu machen und Ankara bei den Beitrittsverhandlungen einen "Rabatt" einzuräumen. Allein schon das EU-Mitglied Zypern könnte jede Vereinbarung verhindern. Denn Zypern verlangt die Anerkennung durch Ankara, die diese bisher verweigert. Bleibt es dabei, drohte Zyperns Präsident Nocos Anastasiades mit einem Veto. Die Insel ist in einen griechischsprachigen Südteil und einen türkischsprachigen Nordteil geteilt, dort stehen auch türkische Truppen.

Das Zypern-Problem hat schon lange Fortschritte in den Türkei-Beitrittsverhandlungen aufgehalten. Selbst Bundeskanzlerin Merkel hat auch eine Vollmitgliedschaft der Türkei bisher abgelehnt. Die steht allerdings auf absehbare Zeit trotz der Verhandlungen nicht an, glaubt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Momentan ist die Türkei nicht beitrittsreif. Und ich glaube, das wird sie auch in zehn Jahren nicht sein", sagte er dem "Handelsblatt".

Doch das vielleicht größte Problem ist, dass sich EU-Länder finden müssen, die syrische Flüchtlinge aus der Türkei auch aufnehmen. Schon bei bisher geplanten gesamteuropäischen Verteilaktionen ist man über geradezu lächerlich kleine Zahlen nie hinausgekommen. Ungarn etwa lehnt jede Aufnahme weiterer Syrer kategorisch ab.

Aber auch die jüngsten Landtagswahlen in Deutschland, wo die einwanderungsfeindliche AfD stark zugelegt hat, haben gezeigt, dass die EU-Regierungen stark unter Druck stehen. Die Staats- und Regierungschefs wollen und müssen den Zustrom bremsen. Angela Merkel glaubt, das gehe am besten, wenn alle Europäer an einem Strang ziehen - und zusammen mit der Türkei. Mark Rutte sagte knapp: "Es gibt keine Alternative. Wir müssen eine Übereinkunft finden." Ob das gelingt, werden die kommenden Stunden zeigen. Zunächst wollen sich die EU-Regierungschefs intern abstimmen. Am Freitag wollen sie sich dann mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu treffen. Fast jeder hier rechnet mit einer langen Nacht.