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Meinung

Baha Güngör 6. Oktober 2006

Kritische Themen der türkisch-deutschen Beziehungen und zwischen Ankara und Brüssel kamen bei Merkels Besuch zu kurz. Zudem bekam die Kanzlerin nur ein eingeschränktes Bild der Türkei zu sehen, meint Baha Güngör.

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Dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin auch in Sachen Türkei nicht so heiß isst wie sie als Oppositionsführerin gekocht hat, ist eine logische Konsequenz der Übernahme von Regierungsverantwortung. So warb sie bei ihrer ersten Reise als deutsche Regierungschefin in die Türkei (5./6.10.2006) nicht mehr offensiv für eine privilegierte Partnerschaft statt einer EU-Mitgliedschaft. Vielmehr hob sie die Bedeutung der Annäherung der Türkei an die EU hervor. Damit warb Merkel zwar keineswegs für einen EU-Beitritt des NATO-Staates wie einen Tag vor ihrer Ankunft ihr sozialdemokratischer Umweltminister Sigmar Gabriel in Ankara, der die Türkei als unverzichtbar für Frieden und Stabilität in Europa bezeichnet hatte. Die christdemokratische Koalitionschefin stellte aber immerhin klar, dass die Türkei bei ihrer weiteren Entwicklung in Richtung EU von Deutschland unterstützt wird, damit sie europäische Standards erreicht.

Türkisch-deutsches Verhältnis

Das Ringen um Klarheit in der deutschen Türkei-Politik geht weiter. Dabei hat Merkel keinen leichten Stand. Sie ist Vorsitzende einer christdemokratischen, aus vielerlei Gründen Türkei-kritischen Partei, deren kleine bayerische Schwester eine EU-Mitgliedschaft der Türkei gar kategorisch ausschließt. Immer öfter melden sich christdemokratische Spitzenpolitiker mit der Forderung, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen. Andererseits ist Merkel Regierungschefin und als solche dazu verpflichtet, über Partei-Interessen hinweg zu handeln und im Falle der Türkei staatsmännische Weitsicht walten zu lassen. Dazu gehört die Einbeziehung der Türkei in die gemeinsame außen- und sicherheitspolitische Verantwortung für Europa. Nicht zuletzt sucht Merkel auch die Unterstützung der Türkei bei der Überwindung von Problemen bei der Integration von Türken in Deutschland und will von ihren historischen Erfahrungen im Dialog zwischen Kulturen und Religionen profitieren.

Merkel hat sich instrumentalisieren lassen

Die erste Reise der höchsten christdemokratischen Repräsentanz in die Türkei seit Altkanzler Helmut Kohl vor 13 Jahren fand unter dem innenpolitischen Gesichtspunkt zu einem unglücklichen Zeitpunkt statt: In der Türkei wird heftigst über den Laizismus, die Gefahren des Fundamentalismus und das Für und Wider eines EU-Beitritts debattiert. Dass Merkel bei ihrem insgesamt auf 26 Stunden begrenzten Aufenthalt in Ankara und in Istanbul keine Vertreter der parlamentarischen Opposition der Sozialdemokraten, keine Vertreter von zivilen Gesellschaftsgruppen oder Frauenorganisationen zu Informationsgesprächen empfing, erlaubt den kritischen Hinweis darauf, dass sie sich vom türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan weitgehend für dessen eigene innenpolitische Ziele instrumentalisieren ließ. Allerdings traf sie sich immerhin mit verschiedenen Religionsvertretern.

Staatspräsident Sezer platzte der Kragen

Die Teilnahme am Essensritual mit 1500 geladenen Gästen am Ende eines der insgesamt 29 Fastentage im heiligen Fastenmonat Ramadan, organisiert vom Istanbuler Provinzverband von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), hatte die Gäste aus Deutschland gezwungen, den Empfang von Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer auf ein zeitliches Minimum zu beschränken. Sezer platzte darauf der Kragen und er ermahnte Erdogans Verhandlungsführer bei den EU-Beitrittsverhandlungen, Staatsminister Ali Babacan, vor Merkel zu mehr Respekt vor dem höchsten Staatsamt.

Was Sezer auch kritisierte, war die Tatsache, dass statt eines Staatsbanketts ein vom Gebetsruf eines Vorbeters vom Rednerpult eingeleitetes Essen das Image der Türkei als einer modernen säkularisierten Republik überschattete. Merkel bekam eine Türkei zu Gesicht, die sich Erdogan wohl vorstellt, nicht aber die Mehrheit in dem Land am Bosporus, dessen Bevölkerung überwiegend den zeitgenössischen westlichen Lebensstil und die pluralistische Demokratie bei aller Kritik daran verinnerlicht hat. Im April 2007 wird das Parlament in Ankara einen neuen Staatspräsidenten wählen. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Erdogan mit der Kandidatur liebäugelt und damit erstmals eine Türkin mit Kopftuch zur First Lady aufsteigen könnte.

Es wird weiter gerungen

Zankäpfel wie das Zypern-Problem wurden ganz vorsichtig auf den Tisch gelegt. Erdogan bekräftigte, dass eine Umsetzung der Ausweitung der Zollunion auf das von der Türkei nicht anerkannte EU-Mitglied Zypern ohne eine Lockerung im Hinblick auf den türkischen Norden der Mittelmeerinsel nicht in Frage kommt. Gerungen wird um ein Zypern-Paket, das für beide Seiten akzeptabel ist und damit die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands ab 1. Januar erleichtern würde. Marginalisiert wurden bei den Gesprächen auch wichtige Themen wie die Rolle der Frau in Staat und Gesellschaft oder die Förderung der Integrationsbereitschaft der Türken in Deutschland.