Türkisches Parlament billigt Syrien-Einsatz
4. Oktober 2012Türkische Grenztrupps hatten in den vergangenen Wochen per Radar die Bewegungen syrischer Artillerie-Einheiten jenseits der Grenze bei Akcakale im Südosten Anatoliens beobachtet und aufgezeichnet. Auf der Basis dieser Beobachtungen waren sich Militärs und Politiker in Ankara schon wenige Stunden nach dem Einschlag syrischer Geschosse in der Grenzstadt am Mittwochnachmittag sicher, woher die tödlichen Granaten kamen - und sie waren überzeugt, dass es ein gezielter Beschuss war.
Als Antwort zielten türkische Haubitzen auf jene syrischen Einheiten, die vorher lokalisiert worden waren und die sich nach Presseberichten drei bis 20 Kilometer tief auf syrischem Territorium aufhielten. Dabei soll es Tote unter den Syrern gegeben haben.
Steht der Flächenbrand bevor?
Die Türken beließen es nicht bei einer Antwort durch ihre Haubitzen. Nach Presseberichten wurden auch Einheiten der Luftwaffe und der Marine in Alarmbereitschaft versetzt. Am Donnerstag setzte das türkische Militär seinen Vergeltungsangriff auf einen syrischen Militärstützpunkt nahe der Grenze fort.
Damit lässt die Türkei an ihrer Entschlossenheit, auch militärisch auf die Lage in Syrien zu reagieren, keinen Zweifel. In einer Dringlichkeitssitzung segnete das türkische Parlament ein Mandat für einen möglichen Syrien-Einsatz der Streitkräfte ab. Damit haben Politiker und Militärs eine rechtliche Grundlage für eine Intervention. Ein regionaler Flächenbrand, der durch die Unruhen in Syrien ausgelöst werden könnte und vor dem unter anderem Bundesaußenminister Guido Westerwelle seit Monaten warnt, ist realistisch.
Kein türkischer Alleingang
Doch ob Ankara nun mit Rückendeckung des Parlaments die Armee tatsächlich nach Syrien schickt, ist nicht ausgemacht. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und andere Regierungspolitiker haben in den vergangenen Wochen mehrmals erklärt, dass sie - trotz ihrer Forderung nach Schaffung einer Schutzzone für Flüchtlinge auf syrischem Boden - keinen türkischen Alleingang beim Nachbarn wollen. Ohne Unterstützung der USA, anderer westlicher Partner und der arabischen Welt will sich Ankara nicht in ein Syrien-Abenteuer stürzen.
Dieses Prinzip gilt auch nach den Ereignissen von Akcakale, zumal eine Intervention in Syrien nach Meinungsumfragen von einer Mehrheit der Wähler abgelehnt wird. Ein Jahr vor wichtigen Kommunalwahlen und inmitten einer Welle von schweren Auseinandersetzungen zwischen Armee und kurdischen PKK-Rebellen wird die Regierung Erdogan überstürzte Entscheidungen vermeiden wollen. Die Frage ist, ob Ankara durch Ereignisse wie die in Akcakale immer mehr in einen Konflikt hineingezogen wird, ohne es zu wollen.
Neue Dringlichkeit türkischer Forderungen
Zunächst wird Erdogan die Forderung nach einer Schutzzone und einer Flugverbotszone in Syrien mit einer neuen Dringlichkeit im Westen und bei der UNO vortragen. Auch die ständig wachsende Zahl der Flüchtlinge ist ein Argument; sie dürfte bald die Marke von 100.000 erreichen. Die Regierung hatte schon vor Wochen erklärt, bei einem Überschreiten dieser Schwelle offiziell eine UN-Schutzzone auf syrischem Territorium zu beantragen.
Noch reagiert die internationale Gemeinschaft verhalten auf diesen Vorschlag. Insbesondere die westlichen Partner der Türkei zeigen sich zögerlich. Beobachter in Ankara rechneten deshalb bisher damit, dass das Thema allenfalls nach den US-Präsidentenwahlen im November auf die Tagesordnung kommen könnte. Auch nach dem Beschuss von Akcakale ließen die USA verlauten, sie rechneten nicht mit größeren kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem NATO-Partner Türkei und Syrien. Doch bei weiteren ernsten Zwischenfällen könnten diese Beschwichtigungen zur Makulatur werden.