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Talente-Allerlei fürs TV

8. Juli 2009

In Zeiten der Krise darf Fernsehen nicht viel kosten. Talentshows und Realityserien sind günstige Sendezeitenfüller. Viele wollen mitmachen. Das Casting selbst wird zum Event.

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Castingorganisator von Pro 7
Immer herein mit den Kandidaten!Bild: DW / M. Schaum
Teilnehmer eines Popstars-Castings als Michael Jackson-Imitator
David aus DuisburgBild: DW / M. Schaum


Er packt sich in den Schritt, lächelt, sein schwarzer Schneidezahn blitzt und alles ist im Kasten. David aus Duisburg hatte seine zwei Minuten Ruhm, das Fernsehteam eines deutschen Privatsenders einen Hingucker mehr. David schwant, dass es nicht mehr werden wird als dieser kurze Auftritt beim Casting zur Talentshow "Popstars", aber der 16-Jährige nickt hartnäckig: "Ich will groß rauskommen und Musik machen. Ich will mich nicht zum Affen machen oder so."

Sendezeitenfüller zum Nulltarif

Offene Castings sind Goldgruben für die Fernsehsender. Aber sie funktionieren nur bei den richtig großen Shows. Da wo man singen, tanzen, lustig sein kann und wenn es gut läuft nach drei Monaten einen Plattenvertrag mit dem eigenen Namen drauf in die Tasche steckt. Tausende Teenager stürmen dafür freiwillig in die Castingmaschine denn "hier geht alles ein bisschen ruckizucki, wenn man alleine versucht so etwas auf die Beine zu stellen, das kann Jahre dauern", sagt Kira aus Lüdenscheid.

Drei Teilnehmer eines Popstars-Castings posen
Coole Posen zu großen HoffnungenBild: DW / M. Schaum

Ruckizucki produzieren die Agenturen auch die Shows, die dazu gehören. Und wenn der Kandidat es nicht in die Endrunde schafft, ist er vielleicht noch skurril genug für ein Realityformat. Mit denen lassen sich Sendezeiten noch günstiger füllen. Die Produktionskosten für eine Sendeminute liegen hier bei rund 1000 Euro – für Sendungen, die tagsüber laufen. Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen abendfüllenden Film produziert, kann die Sendeminute bis zu 15.000 Euro kosten. Die Akteure für Realityformate werden unter anderem von Susanna Riedrich gesucht. Sie castet in ihrer Agentur seit fast zwanzig Jahren Menschen für die Röhre und wenn die Kartei nichts hergibt, werden Headhunter engagiert.

Mein Wohnzimmer ist meine Agentur

"Das sind Leute, die in kleineren Städten oder auf dem Dorf leben und sagen, pass mal auf, ich habe hier in der Nachbarschaft eine Familie, die sehr interessant ist, weil sie zwölf Kinder haben, die alle etwas Besonderes machen aber ohne Vater leben", sagt Riedrich. Wenn diese Familie mitspielt, wird daraus mindestens eine Dokumentation, im günstigsten Fall eine kleine Serie oder ein Coachingformat bei dem ein Berater hilft die diversen Probleme zu lösen.

Teilnehmer eines Popstars-Castings mit Gitarre
Marcel ist zum fünften Mal beim Casting dabeiBild: DW / M. Schaum

Da diese Wohnzimmereinblicke günstig zu produzieren sind und auch noch populär, haben sich inzwischen viele so genannte Wohnzimmeragenturen gegründet. Ein-Mann-Unternehmen, die den etablierten Castingagenturen Konkurrenz machen wollen, eifrig die Problemwohnstuben Deutschlands aufspüren und an die Sender verkaufen. In Ostdeutschland läuft das Geschäft besonders gut.

Kino oder Casting?

Stefan Schwanke hat deshalb zwar keine Kopfschmerzen, aber auch seine Hauptarbeitgeber sind inzwischen die Realityformate. Deshalb hat seine Castingagentur in Hürth vor einigen Wochen zusätzlich eine Internetseite gelauncht, auf der sich Menschen verewigen sollen, die denken sie hätten ein Talent, um sie dann an interessierte Produzenten weiter zu vermitteln. Ein anderer Trend macht ihm allerdings leichte Sorgen: die gescripteten Formate. Hier spielen Schauspieler reale Problemfälle nach, das ist noch günstiger als die Produktion mit "echten" Akteuren.

Casting-Teilnehmerinnen
CastingBild: DW / M. Schaum

Die Talentshows werden allerdings noch lange überleben. Denn sogar die, die nach ihrem Ausscheiden beim Casting über die "abgekartete Sache" schimpfen, wollen immer wieder dabei sein. Selbst kleine, unscheinbare Mädchen mit schiefen Zähnen lächeln noch und hauchen: "Ich teste alles an Chancen und Möglichkeiten, was sich mir in den Weg stellt – und ärgere mich nur, wenn ich es nicht versuche. Mein Gott, warum nicht Popstars?" Zum Casting gehen ist inzwischen ein Event. So wie ins Kino gehen.

Autorin: Marlis Schaum

Redaktion: Marcus Bösch