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Tanz am Grab

20. November 2010

Auf einer Beerdigung tanzen? Lange Zeit galt das in Deutschland als pietätlos. Heute ist das anders. Der Bonner Ballett-Tänzer Felix bringt Bewegung in starre Trauerfeiern und begeistert damit auch ältere Menschen.

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Das Foto zeigt den Bonner Tänzer Felix Grützner mit seiner Choreografie auf einer Trauerfeier in der Kölner Kirche St. Maria in Lyskirchen. Das Bild von Anna C. Wagner aufgenommen. Felix Grützner hat es der Deutschen Welle kostenfrei zur Verfügung gestellt. Eingestellt am 12.11.2010 Zusteller: Sabine Damaschke
Bild: Werner Pillig

Etwas angespannt war Georg Krawietz schon, als der Tanz in der Kapelle begann. Schließlich hatten die Trauergäste so etwas noch nie erlebt. Die meisten waren über 80 Jahre alt, Gefährten auf dem letzten Weg seines Vaters, der mit 88 Jahren in einem Seniorenheim starb. "Aber ich blickte nur in interessierte und gerührte Gesichter", erzählt Georg Krawietz. "Niemand hat diesen Tanz für meinen Vater als unpassend oder pietätlos empfunden."

Vier Monate später ist der Bonner Tänzer Felix Grützner wieder in der Hauskapelle des Seniorenheims zu Gast – diesmal auf der Beerdigung der 85-jährigen Mutter. Wieder ging es darum, ein langes und erfülltes Leben zu würdigen, aber auch den Schmerz des Abschiednehmens, die Frage nach Vergänglichkeit und Leben auszudrücken. Felix Grützner versucht dies mit leisen Gesten und verhaltenen Bewegungen zu tun.

Das Leben würdigen

Das Foto zeigt den Bonner Tänzer Felix Grützner mit seiner Choreografie auf einer Trauerfeier in der Kölner Kirche St. Maria in Lyskirchen. Das Bild von Anna C. Wagner aufgenommen. Felix Grützner hat es der Deutschen Welle kostenfrei zur Verfügung gestellt. Eingestellt am 12.11.2010 Zusteller: Sabine Damaschke
Tanz auf der BeerdigungBild: Anna C. Wagner

Barfuß und in schlichter, schwarzer Kleidung schreitet er zur Musik von Bachs „Cappricio B-Dur" durch den Mittelgang der Kapelle auf den aufgebahrten Sarg zu, bleibt in angemessener Entfernung stehen, streckt die Hände aus, schließt sie zu Fäusten und drückt sie an sich. Er schaut suchend nach oben und unten, geht in die Hocke und streicht sanft über den Boden. Dort findet der Tote seine letzte Ruhestätte, aber ist es nur das, was von ihm bleibt?

In der Schlussgeste seines Tanzes schlägt Felix Grützner den Bogen vom Tod zum Leben - mit weit ausgebreiteten Armen, die nach oben zeigen. Auf seinem Gesicht spiegelt sich die Hoffnung auf ein Leben jenseits von Tod, Trauer und Tränen. Ein Leben, das nicht vergeblich, sondern sinnvoll war. Ein kostbares Geschenk, das gewürdigt und mit Freude gelebt werden will. Der ausgebildete Ballettänzer möchte Trauernden Mut machen, das Leben trotz des Verlustes eines geliebten Menschen zu schätzen und neu zu begreifen.

Tanz gibt Emotionen Raum

Das Foto zeigt den Bonner Tänzer Felix Grützner mit seiner Totentanz-Choreografie in der Kölner Kirche St. Maria in Lyskirchen. Fotograf: Werner Pillig, Düsseldorf. Felix Grützner hat das Foto der Deutschen Welle kostenfrei zur Verfügung gestellt. Eingestellt am 12.11.2010 Zusteller: Sabine Damaschke
Hoffnung auf das JenseitsBild: Werner Pillig

Bewegungen könnten dabei oft mehr bewirken als viele Worte, sagt er. "Der Tanz ist in der Lage, die Menschen so zu berühren wie ein guter Trauerredner." Grützner, der das Tanzen nach Jahren der Verlagsarbeit zu seinem Hauptberuf gemacht hat, glaubt an die heilende Kraft der Bewegung. "Große menschliche Gefühle sind oft schwer in Worte zu fassen", meint er. "Der Tanz aber gibt den Emotionen Raum." Jeder einzelne könne sich in den Gesten wiederfinden und seiner persönlichen Trauer nachspüren, dies aber aufgehoben in der Gemeinschaft tun. "Der Tanz wird sehr persönlich, aber doch gemeinschaftlich erlebt und das tröstet", glaubt Felix Grützner.

Schon seit zwanzig Jahren tanzt der 46-jährige Kunsthistoriker regelmäßig an den Totengedenktagen in evangelischen und katholischen Kirchen. Vor zwei Jahren wurde er zum ersten Mal für eine große Beerdigung engagiert. Seitdem häufen sich die Anfragen. "Sich mit Tod und Trauer auseinanderzusetzen, ist auch für mich nicht leicht", gibt er zu. "Doch das Leben bekommt eine neue Tiefe und Fülle, wenn wir uns der Vergänglichkeit stellen statt sie zu verdrängen."

Kein Toten-, sondern Lebenstanz

Das Foto zeigt den Bonner Tänzer Felix Grützner mit seiner Totentanz-Choreografie in der Kölner Kirche St. Maria in Lyskirchen. Fotograf: Werner Pillig, Düsseldorf. Felix Grützner hat das Foto der Deutschen Welle kostenfrei zur Verfügung gestellt. Eingestellt am 12.11.2010 Zusteller: Sabine Damaschke
Grützner als TrainerBild: Anna C. Wagner

Wie tröstend und hilfreich Bewegung in Krisenzeiten sein kann, hat Felix Grützner nicht nur selbst erfahren. Er erlebt es auch in Seminaren und Workshops, die er für Trauernde anbietet. "Diese Menschen sind oft sehr verspannt, gehen gebeugt und atmen flach", beobachtet er. "Schon einfache Körperübungen helfen ihnen, tiefer zu atmen und sich aufzurichten." Wenn der Kreislauf in Schwung komme und der Stoffwechsel angeregt werde, wirke sich das auch auf die Stimmung aus. "Trauernde bekommen einen anderen Blick auf die Welt."

Es sei ihm wichtig, eine Ahnung vom Leben jenseits der Trauer aufleuchten zu lassen, sagt Felix Grützner. „Was ich mache, ist kein Totentanz, sondern ein Lebenstanz!" Das hat auch Georg Krawietz auf den Beerdigungen seiner Eltern so empfunden. "Beim Zuschauen fühlte ich mich nicht nur getröstet, sondern auch in meinem Leben geerdet", sagt er.

Autorin: Sabine Damaschke

Redaktion: Klaus Krämer