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Tanz! Wie wir uns und die Welt bewegen

Silke Bartlick19. Oktober 2013

Tanz ist eine der ältesten menschlichen Ausdrucksformen. Er durchzieht viele Bereiche unserer Lebenswelt und verbindet Musik, Bewegung und Kulturgeschichte. Davon erzählt eine Ausstellung in Dresden.

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Große silberne Bälle im Eingang zur Tanz-Ausstellung (Foto: Oliver Killig)
Bild: Oliver Killig

Ein Raum voller silberner Bälle, unterschiedlich schwer, mit einem Durchmesser von zwei Metern. An ihnen muss jeder vorbei, der im Dresdener Hygiene Museum in die Ausstellung rund um das Thema Tanz gehen möchte. Aber schon hier, zwischen den Bällen und inmitten anderer Besucher, passiert etwas. Ein Hüftschwung oder ein sanfter Tritt bringen die Bälle ins Rollen, sie berühren sich, berühren andere. Menschen verbiegen sich, es wird gekichert, gelacht. Der Tanz - kleinste Bewegungen - setzt vieles in Bewegung!

In Bewegung

Tanz, sagt Colleen M. Schmitz, Kuratorin der Dresdener Ausstellung, ist eine der ältesten Ausdrucksformen des Menschen. Er erzählt viel darüber, wie wir miteinander umgehen, zueinander stehen und wie wir selbst uns sehen. Er ist also mehr als eine flüchtige Ausdrucksform, die als Bewegung, kaum ausgeführt, schon wieder verschwindet. Die vielfältigen Bedeutungen, die sich unter der Oberfläche von Walzer, Breakdance oder Hip-Hop verbergen, werden im Hygiene Museum nun auf höchst kurzweilige Weise freigelegt. Durch die Schau führen zwei miteinander verwobene Spuren: die sogenannte "Wissensspur" mit Büchern, Skulpturen, Videos, Fotografien und Zeichnungen. Und die "Tanzspur", die den Besucher selbst immer wieder in Bewegung setzt.

Zu sehen ist ein Gips-Abguss des Fusses der Tänzerin Fanny Eßlers rechtem Fuß (Foto: DW/S. Bartlick)
Mythenbildung: Abguss des Fusses der Tänzerin Fanny EßlersBild: DW/S. Bartlick

Das Ballett wurde bereits am Hof von Versailles kultiviert, der Klassizismus reformierte es, und die Romantik trieb es schließlich auf die sprichwörtliche Spitze: mit Tütü und in Spitzenschuhen. Für ihr Können wurden und werden Tänzer und Tänzerinnen bewundert. Heute inszenieren vor allem Videos und Bildbände den Kult um Körper und Bewegungen. Früher brachte man die Verehrung zumeist in Gemälden und mit Skulpturen zum Ausdruck. Die nach einem Gipsmodell gefertigte Marmorplastik vom rechten Fuß der österreichischen Ballerina Fanny Elßler (1810 – 1884) beispielsweise unterstrich nicht nur deren Weltruhm, sondern diente Verehrern auch als Projektionsfläche unterschiedlichster Sehnsüchte.

Grenzverschiebungen

Die Geschichte des Tanzes ist geprägt von Bewahrung und Veränderung, von Reform und Regelverletzungen, von sozialen Prägungen, neuen Sehgewohnheiten und wankenden Rollenbildern. Der Tanz lotet schon immer Grenzen aus und verschiebt gesellschaftliche Konventionen. Auch beim Walzer war das so. Zunächst galt der als anrüchig, weil die Paare sich viel zu nahe und durch die schnellen Drehungen in rauschhafte Zustände kamen. Die wilden Jazztänze der 1920-er Jahre hat man ebenso gebändigt wie Foxtrott und Rock 'n' Roll. Aber auch wenn die neuen Tanzstile reglementiert wurden, sie haben doch immer etwas verändert: das Verhältnis der Geschlechter zueinander, Mode, Umgangsformen, unser Verhältnis zur Sexualität. Tänze sind immer Ausdruck des Zeitgeistes, allerdings hat ihre Beliebtheit oft ein Verfallsdatum. Heute amüsiert man sich etwa über das Ehepaar Fern, das in den 1960-er Jahren mit seiner Fernsehsendung "Gestatten Sie" biedere deutsche Wohnzimmer in Tanzschulen verwandelte. Mit Nylonstrumpfen und Pumps bei ihr und dem akkuraten Anzug bei ihm. "Und eins und zwei und Cha-Cha-Cha!"

Szene aus dem Film "Here we come" (Foto: Dominance Records)
"Here we come" - wildes Tanzen ist seit jeher Ausdruck jugendlicher RebellionBild: Dominance Records

Was alle Tänze verbindet, überall auf der Welt, sagt Kuratorin Colleen M. Schmitz, "ist die Suche nach einer gewissen Identität". Jugendliche experimentieren mit Vorliebe in ekstatischen Tänzen mit der eigenen Sexualität, Volkstänze bewahren lokal geprägte, traditionelle Bewegungsformen. Tänze nähren die Sehnsucht nach fremden Ländern, aber sie befördern auch Klischees wie das der temperamentvollen spanischen Flamenco-Tänzerin. Oder sie lenken gar auf falsche Fährten. Der Sirtaki, vermeintlich der griechische Tanz schlechthin, ist eine Erfindung Hollywoods. Heute profitiert gerade der zeitgenössische Tanz viel vom dem, was sich auf den Straßen der Welt entwickelt. Letztes Beispiel: spontane flash-mobs, die zu politischen Zwecken wie dem Protest gegen die Vergewaltigung von Frauen in Indien rund um die Welt eingesetzt werden.

Körperbilder

Das wichtigste Instrument eines Tänzers oder einer Tänzerin ist der eigene Körper. Auch der Blick auf ihn hat sich im Laufe der Gezeiten und unter den verschiedenen soziokulturellen Rahmenbedingungen verändert. Was gestern als hässlich galt, findet man heute schön und umgekehrt. Es waren und sind vor allem Choreographen, die verbreitete Sehgewohnheiten in Frage gestellt haben und in Frage stellen. Der Franzose Xavier le Roy, Jahrgang 1968, erkundet den tanzenden Körper als formbares Material, die Deutsche Sasha Waltz (geb. 1963) spürt in ihrer Arbeit "Körper" dessen Grenzen und Beschaffenheit nach. Der russische Tänzer Vaslav Nijinsky (1889 – 1950) hat mit männlich wie weiblich anmutenden Tanzposen bereits vor Jahrzehnten klassische Geschlechterbilder in Frage gestellt. Und die schwarze amerikanische Tänzerin Josephine Baker (1906 – 1975) spielte in den 1920-er Jahren, nur spärlich mit einem Bananenröckchen bekleidet, medienwirksam mit rassistischen Vorurteilen.

Der Künstler Xavier Le Roy steht auf dem Kopf als lebende Skulptur (Foto: DW/S. Bartlick)
Lebendige Skulptur: der Künstler Xavier Le Roy erkundet den Körper als formbares MaterialBild: DW/S. Bartlick

Die 1200 Quadratmeter große Ausstellung im Dresdener Hygiene Museum verändert ihre Besucher. Gesichtszüge werden gelöster, Vereinzelung bricht auf. Unter Kopfhörern und bei Videoclips wird gemeinsam im Takt gewippt. Und vor allem jüngere Besucher lassen sich von verschiedenen multimedialen Installationen zum Nach- und Mittanzen animieren. Freude am Tanzen sollen sie auch mitnehmen, das wünscht sich Kuratorin Colleen M. Schmitz. Und die Erkenntnis, dass jeder zwar mit seinem eigenen Bewegungsvokabular zur Welt gekommen ist, sich aber sehr wohl von anderen anstecken lassen kann. Also dann: Let's dance!