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Unpolitisch und resigniert

Das Gespräch führte Gaby Reucher9. März 2009

Immer weniger Studenten interessieren sich für Politik. Das zeigt eine Studie der Uni Konstanz. Befragt wurden 8350 Studenten an 25 Hochschulen. Viele haben den Eindruck, mit ihrem Engagement nichts bewirken zu können.

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Eine junge Frau steht vor einer Tafel mit dem Wort 'Politik' (Foto: dpa)
Politik - Nein danke?!Bild: picture-alliance/ dpa

Nur noch 37 Prozent der befragten Studenten interessieren sich für Politik. 1983 waren es noch 54 Prozent. Kaum einer will sich heute als politisch "links" oder "rechts" bezeichnen. Die Studenten bevorzugen die politische "Mitte". Studienleiter Tino Bargel wertet die Ergebnisse als Zeichen zunehmender Resignation. Auch die politischen Ziele der Studenten haben sich verändert. Immer mehr plädieren für die Förderung von Technologien und eine harte Bestrafung von Kriminellen. Ein Viertel der Studierenden ist für die Begrenzung der Zuwanderung von Ausländern. Die Angst um den Arbeitsplatz steht im Vordergrund. Welche Faktoren bei der Politikverdrossenheit eine Rolle spielen, erläutert Tino Bargel im Interview mit Gaby Reucher.


DW-WORLD.DE:
Gleichgültig, unpolitisch, resigniert seien die Studenten - und so labil und teilnahmslos wie noch nie. Das ist das Ergebnis Ihrer Studie. Ist es wirklich so dramatisch?

Tino Bargel: Es ist eine völlig neuartige Konstellation, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat, weil ein ganzer Kranz von Veränderungen eingetreten ist. Das betrifft nicht nur das Engagement, sondern auch die Entschiedenheit, die Sicherheit. Konventionalität und Unsicherheit, bis hin zu Formen der Angst haben sich unter den Studenten verbreitet. Dies drückt sich dann aus in weniger politischer Beteiligung – aber auch in einer weniger gefestigten demokratischen Haltung.

Sie beobachten ja das Befinden von Studenten schon seit über 25 Jahren – war das eine schleichende Entwicklung oder ein plötzlicher Einbruch?

Diese Veränderungen haben sich über mehrere Jahre zusammengefügt. Zum Beispiel konnte man noch Ende der 1990er-Jahre durchaus von "gefestigten Demokraten" sprechen. Das lässt sich in dieser Eindeutigkeit heute nicht mehr sagen. Zur politischen Beteiligung ist zum Beispiel festzustellen, dass früher etwa zwei Drittel der Studierenden stark politisch interessiert waren, während es heute nur noch ein gutes Drittel ist. Im Gegenzug hat sich die Bedeutung der Herkunftsfamilie als Zeichen für einen Rückzug ins Private verdoppelt.

Sie sprechen den 'Rückzug ins Private' an: Agiert man heute mehr in Organisationen wie etwa amnesty international statt offensiv auf die Straße zu gehen? Ist das Engagement nur nicht mehr so sichtbar wie früher?

Die Vermutung könnte man haben. Man muss aber auch berücksichtigen, dass Studierende immer schon distanziert waren gegenüber offiziellen Organisationen. Die waren immer eher bereit, sich Bewegungen anzuschließen und Demonstrationen zu machen. Nichtsdestotrotz ist feststellbar, dass die Distanz gegenüber den Parteien gar nicht so zugenommen hat. Vom Rückzug sind vielmehr Bürgerinitiativen, Menschenrechtsgruppen und ähnliche Formen betroffen – auch eben die studentischen politischen Organisationen bis hin zu den Fachschaften. Das heißt, es hat generell, in allen Bereichen, eine stärkere Passivität um sich gegriffen.

Teilnehmer einer Studentendemonstration (Foto: AP)
"Reiche Eltern gesucht!" - Demo gegen StudiengebührenBild: AP

Weshalb engagieren sich denn diejenigen, die sich noch politisch engagieren?

Es gibt viele gute Gründe, sich zu engagieren. Einerseits spielen idealistische Gründe eine Rolle, man bestimmte Sachverhalte in der Politik ändern will. Und bei einigen spielt durchaus auch eine Rolle, dass sie über die Politik Chancen der Karriere und des Aufstiegs sehen.

Und warum ziehen all diese Gründe nicht mehr bei denen, die sich nicht so stark engagieren?

Da kommen natürlich verschiedene Faktoren zusammen, denn die Studenten sind ja Teil der gesellschaftlichen Entwicklung. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dass die Arbeitswelt sich sehr verändert hat und damit auch der Übergang der Studenten in diese Arbeitswelt viel unsicherer geworden ist. Hinzu kommt, dass auch die Wertehorizonte sich verändert haben – weg von einem Idealismus, wie er eigentlich für Studenten üblich ist, hin zu einem Utilitarismus, einem Nützlichkeitsdenken. Und es hat einen starken Wandel in der Rolle der Studierenden gegeben, die jetzt eher auf ihre berufliche Qualifizierung achten sollen und müssen - und die auch eher als Kunden behandelt werden denn als aktive Teilnehmer.