Terek Grosny im UEFA-Cup
1. Juni 2004"Der Pokal hat seine eigenen Gesetze." Diese Fußballweisheit gilt nicht nur im DFB-Pokal, wo plötzlich Zweitligisten und manchmal sogar Amateurmannschaften für die Profikicker aus der ersten Bundesliga zum Angstgegner werden und die Außenseiter nicht selten als Sieger vom Platz gehen. Doch was dem deutschen "Underdog" und Zweitligisten Alemannia Aachen im deutschen Pokalfinale gegen den Favoriten und Meister Werder Bremen nicht gelang, schafften die Spieler von Terek Grosny: Im russischen Pokalfinale besiegte der russische Fußballzwerg und Zweitligist den haushohen Favoriten und Erstligisten Krylja Sowjetow aus Samara mit 1:0.
Der Pokalsieg der tschetschenischen Fußballspieler schaffte es auf die ersten Seiten der meisten russischen Zeitungen. Ein seltener Moment des Glücks in dem ansonsten durch Krieg und Gewalt geprägten Alltag in Tschetschenien. In den russischen Nachrichten fällt der Name "Grosny"
für gewöhnlich in einem Atemzug mit Meldungen über Anschläge von tschetschenischen Freischärlern oder Berichten von so genannten "Säuberungen" durch russische Truppen oder der pro-russischen tschetschenischen Milizen.
Das Stadion mit der Bombe
Erst vor drei Wochen war der von Moskau installierte Präsident Tschetscheniens, Achmat Kadyrow, bei einem Bombenattentat während einer Militärparade im Stadion von Grosny ums Leben gekommen. Darüber wer die
Bombe im Dynamo-Stadion legte, herrscht nach wie vor Unklarheit.
Der Trainer von Terek Grosny, Vait Talgajew, widmete den Pokalsieg seiner Mannschaft sogleich dem ermordeten Kadyrow. Der war zugleich auch Präsident von Terek Grosny. Nachdem Kadyrow vom Kreml als Republikchef
installiert worden war, hatte er 2001 die Mannschaft von Terek Grosny nach jahrelanger Pause wieder auflaufen lassen. Denn mit dem Beginn des ersten Tschetschenienkrieges 1994 war die Mannschaft auseinander gefallen - kurz nachdem Terek erstmals den Aufstieg in die erste Liga geschafft hatte.
Albtraum statt Traum
Der Traum von Gegnern wie Spartak, ZSKA oder Dynamo Moskau schien damals wie zum Greifen nah. Doch im gleichen Jahr marschierten russische Truppen in die Kaukasusrepublik ein, der Albtraum begann und die
Mannschaft löste sich auf.
Die von Kadyrow initiierte Wiedergeburt des Vereins war in erster Linie ein Politikum: Die Wiedergeburt von Terek Grosny sollte eine Normalisierung der Lage in der zerstörten Republik von der Größe Thüringens vorspiegeln.
Gewalt regiert
Doch von Normalität ist Tschetschenien noch immer weit entfernt, wie das Attentat auf Kadyrow deutlich gezeigt hat. Nach wie vor regiert die Gewalt, von Wiederaufbau fehlt jede Spur. Auch die "Heimspiele" von Terek Grosny müssen noch immer aus Sicherheitsgründen hunderte von
Kilometern fern der Heimat in anderen Stadien angepfiffen werden.
Als Nachfolger für beide Präsidentenämter ist der von der Mehrheit der Tschetschenen gehasste und gefürchtete Sohn Kadyrows, Ramsan, im Gespräch. Als Chef der berüchtigten Kadyrow-Miliz hat der 27-Jährige sein eigenes Schreckensregime aufgebaut. Menschenrechtsorganisationen lasten ihm persönlich Folter und Entführungen an.
Grosny feiert
Obwohl die Mannschaft von der pro-russischen Regierung Tschetscheniens finanziert wird, feiert die breite Bevölkerung den Sieg von Terek Grosny. Die Teilnahme am UEFA-Cup und Spiele gegen europäische Spitzen-Mannschaften können den geschundenen Menschen in der
Kaukasusrepublik zumindest für einige Momente vielleicht die Möglichkeit geben, den schweren Alltag einmal kurz auszublenden.