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Terroristen wollen Bürgerkrieg im Irak

Peter Philipp3. März 2004

Der Terror im Irak hält an: Während des Aschura-Festes sprengten sich inmitten schiitischer Gläubiger mehrere Selbstmordattentäter in die Luft. Was sind die Hintergründe der Anschlagsserie und wer sind die Drahtzieher?

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Ziel der Attentäter: US-Soldaten und IrakerBild: AP


Erst vor vierzehn Tagen hatten die Vereinigten Staaten das Kopfgeld auf Abu Musab el Sarkawi auf 10 Millionen Dollar verdoppelt: Der mysteriöse Mann stammt aus Jordanien, hatte sich in Afghanistan von der "Kaida" ausbilden lassen und hatte - so zumindest behauptete US-Außenminister Colin Powell vor einem Jahr - im Nordost-Irak unter dem Schutz der radikalen Islamistengruppe "Ansar el Islam" zu operieren begonnen. Sarkawi wird von den Amerikanern als Hauptverbindung zwischen irakischen Gruppen und der "Kaida" vermutet, inzwischen auch als Haupt-Drahtzieher hinter Anschlägen im Irak, weil er sich zum Ziel gesetzt habe, mit Hilfe von El Kaida-Söldnern und Freiwilligen einen Bürgerkrieg im Zweistromland auszulösen.

Von El-Kaida gesteuerte Anschläge?

Auf einer CD-Rom wollen amerikanische Fahnder vor einigen Wochen einen Appell Sarkawis gefunden haben, in dem er die "Kaida"-Führung um Hilfe gegen Kurden, Schiiten und vor allem Amerikaner bittet. Wenn im Irak erst einmal Ruhe eintrete, dann sei der Kampf verloren. Deswegen müsse man rasch gegen die kurdischen "Lakaien der Israelis" vorgehen, besonders aber gegen die Schiiten, die auf dem 17-Seiten Dokument als Verräter und "fünfte Kolonne im Kampf gegen den Westen" bezeichnet werden - in sehr genauer Anlehnung an Formulierungen, die von Bin Laden bekannt sind. Und auch die Bezeichnung der Amerikaner als "Kreuzritter" könnte von dem flüchtigen "Kaida"-Chef stammen.

Ziel: Normalisierung verhindern

Eine Normalisierung solle unter allen Umständen verhindert und den Amerikanern ein längeres Verbleiben im Irak so teuer wie möglich gemacht werden. Sarkawi wird auch jetzt als Drahtzieher der Anschläge von Bagdad und Kerbela verdächtigt, denn das Vorgehen entspricht ziemlich genau den von ihm vorgegebenen "Regie-Anweisungen": Während der Feierlichkeiten des muslimischen Opferfestes "Id el Adha" wurden im kurdischen Arbil über 80 Menschen durch Selbstmordattentäter getötet und jetzt sind am Höhepunkt der schiitischen "Aschura"-Feiern in Bagdad und Kerbela fast zweihundert Menschen umgebracht worden. Solche Anschläge - gerade an den hohen Feiertagen - zielen darauf ab, Wut und Verzweiflung der Opfer ganz besonders zu steigern. Sie werden sich entweder gegen die Besatzer wenden, die durch ihre Anwesenheit allein für alles verantwortlich gemacht werden, oder aber es kommt zu offen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen - also einem Bürgerkrieg, der die Aufrechterhaltung der Besatzung ebenfalls erheblich erschweren dürfte.

Hintergründe noch schleierhaft

Ob das im Februar in Auszügen veröffentlichte Dokument wirklich von Sarkawi stammt, ist bislang nicht bewiesen. Es kommt den Amerikanern aber sehr gelegen, denn es untermauert ihre These, dass ein Großteil der Anschläge im Irak auf das Konto ausländischer Terroristen gehe und dass die amerikanischen Soldaten sich auch im Irak in vorderster Front des "Krieges gegen den Terrorismus" befänden.

Auch irakische Kreise behaupten, dass der Terror nicht hausgemacht sei. Nach den Anschlägen von Bagdad und Kerbela hoben verschiedene schiitische Sprecher hervor, dass "echte Muslime" zu solchen Taten "nicht fähig" seien und es dauerte nicht lange, bis man auch auf Seiten der Opfer die USA verantwortlich machte: Die Amerikaner kontrollierten nicht die Grenzen des Landes und sie sorgten nicht für ausreichende Sicherheit, klagte etwa Schiitenführer, Ayatollah Sistani.

Großveranstaltungen sind nicht zu schützen

Die Grenzen des Irak sind in der Tat heute weniger abgesichert als in der Vergangenheit, aber Ereignisse wie die Feierlichkeiten der "Aschura" mit Hunderttausenden von Teilnehmern können gar nicht zuverlässig abgesichert werden. Die Besatzer hatten sich hier außerdem bewusst zurückgehalten und - auf schiitischen Wunsch - die Kontrolle der unmittelbaren Umgebung der Heiligen Stätten irakischen Sicherheitskräften überlassen, damit ihre eigene Anwesenheit nicht als Provokation betrachtet würde. Außerdem war kaum absehbar, mit welchen Problemen man konfrontiert sein würde, denn die "Aschura" sollte zum ersten mal in gut dreißig Jahren ohne jede Restriktion gefeiert werden.

Art und Vorgehen der Terroristen beweist schließlich, dass es sich hier nicht um Amateure und Einzelgänger handelt. Wie schon bei früheren Anschlägen ist sehr deutlich, dass die Täter auf eine gut funktionierende Infrastruktur zurückgreifen können, die ihnen Waffen, Sprengstoff und logistische Hilfe gibt. Eine derartige Infrastruktur wäre unter Anhängern des gestürzten Saddam-Regimes ebenso denkbar wie im Dunstkreis Bin Ladens. Möglich - und durchaus denkbar - wäre auch eine Kombination von beiden.

Möglicherweise erfährt die Welt ja bald mehr über die Hintermänner der Angriffe. In Bagdad soll ein Selbstmord-Attentäter gefasst worden sein, bevor sein Sprengstoffgürtel detonierte. Sicher wird er "einiges zu erzählen haben".