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Terézia Mora: Das Beste aus zwei Welten

Jan Bruck8. Oktober 2013

Die deutsch-ungarische Autorin hat mit "Das Ungeheuer" den wichtigsten deutschen Buchpreis gewonnen.Terézia Moras Road-Roman führt uns an den Rand Europas – und nimmt es mit einem Kontinent in der Krise auf.

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Die ungarische Schriftstellerin Terezia Mora Foto:dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Weil ich das Eigene verloren habe, kann ich nichts mehr schreiben." Das wäre für sie als Autorin das Schrecklichste, was sie sich vorstellen könne, sagt Terézia Mora bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises am Montag (07.10.2013) in Frankfurt. Mit dem Zitat des deutschen Schriftstellers Thomas Brasch will sie deutlich machen, wie wichtig ihr ihre ungarische Herkunft ist. Die Auszeichnung komme ihr noch sehr unwirklich vor, sagt sie. Die Dankesrede am Mikrofon ist improvisiert, sie weiß nicht so recht, wohin mit ihren Händen. Mal stützt sie sie am Pult ab, mal hält sie sie hinter dem Rücken versteckt. Eins ist sicher: Der Preis könnte sie auf die Bestsellerlisten ganz weit nach vorne katapultieren.

"Wenn ich den ungarischen Teil in mir weglassen würde, um mit dieser Abweichung die Leute nicht zu irritieren, würde ich das Einzige verlieren, mit dem man als Schriftsteller arbeiten kann: das Eigene", sagt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Jury des Buchpreises scheint das ähnlich zu sehen. Moras Auszeichnung ist nicht zuletzt eine Anerkennung des osteuropäischen Einflusses auf die deutsche Literatur in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989. Die Wende machte einen regen Austausch zwischen Autoren in Ost und West möglich, viele osteuropäische Schriftsteller zogen nach Berlin, den neuen Möglichkeitsort - so 1990 auch Terézia Mora. "Heute bin ich in der privilegierten Situation, das Leben zu leben, das ich mir mal erträumt hatte, nämlich ein Buch zu schreiben bis es so gut wird, dass ich es nicht mehr besser machen kann," sagt die Autorin im Anschluss an die Verleihung, noch sichtlich überrumpelt.

Terezía Mora (Mitte) mit den anderen Nominierten Foto: Arne Dedert/dpa
Terézia Mora (Mitte) mit den anderen fünf NominiertenBild: picture-alliance/dpa

Beide Kulturen für die Literatur nutzen

Mora ist mit der deutschen und der ungarischen Sprache groß geworden. Neben ihrer Arbeit als Autorin übersetzt sie heute unter anderen den ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy ins Deutsche. "Ich sehe die Zweisprachigkeit und das Wissen über beide Kulturen als ein Füllhorn an Möglichkeiten", sagt sie und strahlt dabei. "Ich empfinde jedes Mal eine diebische Freude, wenn ich etwas Ungarisches in meine Arbeit übertragen kann, das es vorher im Deutschen nicht gegeben hat." So habe sie für "Das Ungeheuer" mit Freunden aus der Heimat gesprochen und sich an ihren Geschichten "bedient".

Die Hauptfigur des 700-seitigen starken Romans ist der arbeitslose IT-Spezialist Darius Kopp, der mit dem Selbstmord seiner geliebten Frau Flora nicht fertig wird. Zunächst verlässt der 46-Jährige monatelang seine Wohnung nicht, dann entschließt er sich für die Asche seiner Frau einen Platz in ihrer Heimat Ungarn zu finden.

"Das Ungeheuer" knüpft an Moras Vorgänger-Roman "Der einzige Mann auf dem Kontinent" an. Er erzählt die Geschichte von Darius' und Floras Begegnung. Von dem Ungeheuer Depression, das seine Frau Flora quält, hat sie Darius nie etwas gesagt.

Liebesgeschichte mit politischer Dimension

Karussell: Deutscher Buchpreis 2013 für Terézia Mora

Aus der Liebesgeschichte des Paares macht Mora einen Road-Roman, der die Hauptfigur durch mehrere südosteuropäische Länder führt - unter anderem Kroatien, Georgien und Armenien. Während der Fahrt beginnt Darius das Tagebuch seiner Frau zu lesen, von dem er vorher nichts wusste. Das Tagebuch ist eine Mischung aus biographischen Einträgen und Artikeln über Depression. Damit vereint Mora praktisch zwei Bücher in einem: Darius Kopps Reise stellt sie dem Tagebuch seiner Frau gegenüber – getrennt durch einen dicken schwarzen Strich, der sich durch das gesamte Buch zieht.

Die Autorin habe einen "tiefbewegenden und zeitdiagnostischen Roman" geschrieben und zeige "hohes Einfühlungsvermögen", begründet die Jury ihre Entscheidung. Doch "Das Ungeheuer" ist nicht nur eine Liebes- und Trauergeschichte, sondern auch ein hochaktuelles Buch. Auch das hat die Jury begeistert.

Von Europas Mitte zum Rand

Von Budapest aus fährt Darius Kopp immer weiter in die Provinz. Er bewegt sich von der Mitte an die Peripherie Europas, in Gebiete, die zivilisatorisch abgehängt sind, und begegnet dort sehr viel Armut und Not. "Doch gerade dort spielen sich die witzigsten, groteskesten Szenen ab, trifft der Leser schräge Vögel und merkwürdige Typen, die es nur dort am Rand gibt," sagt Jury-Mitglied und Literaturkritikerin Ursula März.

Doch auch mit den Problemen in der vermeintlichen reichen Mitte Europa befasst sich Mora in ihrem Roman. Das ganze Unglück des in Berlin lebenden Paares beginnt, als Darius seine Arbeit verliert. Und auch die gut ausgebildete Migrantin Flora kann keine Arbeit finden und nimmt schließlich zähneknirschend einen Job als Kellnerin an. Dass sie ihre Fähigkeiten nicht in ihr Arbeitsleben einbringen kann, befördert ihre schwere Depression.

Buchcover Terezia Mora Das Ungeheuer
Bild: Luchterhand

Krise als Inspiration

"Wenn ich mich heute in meiner Welt umschaue sehe ich existenzielle Unsicherheit", stellt Mora fest. "Diese Probleme gab es früher auch, aber sie finden jetzt in einer stark vom Konsum bestimmten Welt statt, die zwar reich aussieht, in der es aber immer noch die gleichen Probleme gibt. Wo können wir wohnen? Was können wir essen?"

Während Terézia Mora "Das Ungeheuer" schrieb, erlebte sie 2011 während einer Reise nach Griechenland die Massendemonstrationen gegen die Sparpolitik der Regierung mit. Diese Erfahrung lässt sich auch in ihr Buch einfließen. Darius Kopps Reise endet in Athen, wo ein wütender Mob auf sein Auto los geht. Die Proteste waren für Mora ein starkes Bild für den Zustand Europas. "In diesem Moment wurde mir klar: Das muss auch in meinem Buch vorkommen."