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Theater gegen den Zahn der Zeit

31. März 2002

Künstlerisch konkurrieren die zwei bedeutendsten Musiktheater Russlands miteinander, aber mit ihren Bühnengebäuden haben sie das gleiche Problem.

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Schon 225 Jahre alt: das Bolschoi-TheaterBild: AP

Sowohl das Bolschoi-Theater in Moskau als auch das Mariinski-Theater in St. Petersburg müssen grundlegend
saniert werden. Doch die architektonischen und finanziellen Probleme dieser Riesenvorhaben sind noch lange nicht gelöst.

Von der angekündigten Schließung des baufälligen Bolschoi am Ende dieser Saison war keine Rede mehr, als die Leitung des Ballett- und Operntempels dieser Tage in Moskau die Pläne für die kommende 227. Spielzeit vorstellte.

Ausweg Doppelbühne?

Nach siebenjähriger Bauzeit wird Ende Dezember eine Ausweichspielstätte den Betrieb aufnehmen, ohne dass die Hauptbühne stillgelegt wird. Stattdessen sollten die einzelnen Umbauphasen des 1856 errichteten Gebäudes jeweils nur wenige Wochen oder Monate dauern und auf viele Jahre verteilt werden, bestätigte der Pressedienst des Bolschoi. Kosten wird die Sanierung mindestens 200 Millionen Euro, es gibt aber auch Schätzungen, die von bis zu 500 Millionen ausgehen.

Mit den Möglichkeiten zweier Spielstätten will die Theaterleitung um Generaldirektor Anatoli Iksanow den künstlerischen Stillstand der vergangenen Jahre beenden. Fünf Opern- und vier Ballettpremieren hat das Bolschoi für die kommende Spielzeit angekündigt. "Das Bolschoi setzt in der nächsten Saison vor allem auf die russische Oper", sagte
Chefdirigent Alexander Wedernikow.

Doch die Moskauer Presse ist skeptisch, ob der altmodische Stil des Bolschoi überwunden werden kann. "Ästhetische Revolutionen sind nicht abzusehen", schrieb die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta". Sie zitierte Wedernikow mit den Worten, in einer Zeit voller Veränderungen "zieht es das Theater zur Epoche des Klassizismus".

Schwung und modernere Inszenierungen sollen vor allem die vielen Gastspiele in das Bolschoi bringen. Erwartet werden die Tanztruppen der Mailänder Scala, der Opera de Paris und des Covent Garden aus London. Außerdem sind Opern-Aufführungen aus Warschau, Riga und Budapest eingeladen.

Vorbild Mariinski-Theater

Wie Musiktheater in Russland heute aussehen sollte, zeigte Anfang März wieder die Konkurrenz aus St. Petersburg. Waleri Gergijew, der Direktor des Mariinski-Theaters, brachte seine Aufführung von Richard Wagners "Walküre" ins Bolschoi. Zwar mokierte sich die Kritik über die sehr statische Inszenierung des deutschen Regisseurs Gottfried Pilz. Doch der musikalische Eindruck war so stark, dass der "Walküre"
der Preis als beste Opernaufführung beim diesjährigen russischen Festival "Goldene Maske" kaum zu nehmen sein wird.

An der Fassade des Mariinski-Theaters in St. Petersburg wird bereits eifrig gearbeitet, denn sie soll zum 300-jährigen Jubiläum der Stadt 2003 glänzen. Danach sind weitere Sanierungsschritte an der 1860 gebauten Bühne fällig.

Moderne oder Museum?

Streit gibt es in St. Petersburg um die zweite Spielstätte. Der amerikanische Architekt Eric Owen Moss hat dafür einen Entwurf vorgelegt, dessen Form er selbst als "Mülltüten" beschreibt. Denkmalschützer laufen Sturm gegen den erwarteten Frevel am historisch einheitlichen Stadtbild aus dem 18. und 19. Jahrhunderts.

Die Befürworter, darunter Maestro Gergijew, sehen nur in einem radikalen Projekt die Möglichkeit, den architektonischen Stillstand in dem "Freilichtmuseum" St. Petersburg zu überwinden. Doch die Gegner haben durchgesetzt, dass ein Wettbewerb ausgeschrieben wird, an dessen Ende wohl ein weniger auffälliger Entwurf siegen wird. (dpa/kas)