1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Theater in der Laubenpieperkolonie

Silke Bartlick (mb)18. August 2004

Waren Sie schon mal in einer Kleingärtnerkolonie? Viele kennen das typisch deutsche Phänomen nur vom Vorbeifahren. Regisseur Roland Brus schafft Abhilfe: Mit einer theatralen Expedition ins Wesen des Kleingartens.

https://p.dw.com/p/5SCC
Angeln und planschen im ehemals erweiterten Grenzgebiet der DDRBild: Thomas Aurin


Beim S-Bahnfahren im Ruhrgebiet ist Regisseur Roland Brus auf das Thema Kleingärten gestoßen. "Ich habe angefangen, mich dafür zu interessieren und zu gucken, was sich hinter diesen Zäunen und Hecken verbirgt", erzählt er. Gefunden hat Brus Geschichten und Schicksale, die er in dem einzigartigen Theaterprojekt "Parzelle Paradies - Laube, Liebe, Hoffnung" umgesetzt hat.

Gehegt und gepflegt

In Berlin, mit 80.000 Parzellen Europas Kleingartenmetropole, hat Brus mit viel Geduld 18 Parzellenbesitzer für seine Idee gewonnen. Mit ihrer Beteiligung hat er einen Parcours durch die Kleingartenanlage "Bornholm I" inszeniert. Brus will dabei nicht nur einen Einblick in Laubenpiepers gehegt-gepflegte kleine Welt gewähren, sondern auch mit Sehnsüchten und Hoffnungen all dieser Menschen bekannt machen, die sich mit zupackendem grünen Händchen auf ein paar Quadratmetern eine innerstädtische Oase errichtet haben.

Parzelle Paradies Szenenfoto Spezialbild
Es wird dunkel in der Kolonie - die Inszenierung geht gleich losBild: Thomas Aurin

"Jede Parzelle ist ja für mich erst mal ein Bühnenbild. Da ist ja schon alles inszeniert, vom Gartenzwerg über die Beleuchtung, über die Veranda, über den Teich", erzählt Brus. Ganz viel Liebe, ganz viel Kreativität stecke da jeweils dahinter und die Inszenierung führe dann zu einer Art Reise von Parzelle zu Parzelle. "Wir erklären das ganze Dorf eigentlich zu einem großen Happening, wo alle Dorfbewohner in irgendeiner Form mitmachen", sagt der Regisseur.

Hacken, jäten und plaudern

Teilnehmer bei dem Happening sind zum Beispiel die Charaktere Kathrin und Mona. Kathrin träumt von einem Märchengarten, Mona vom Rennfahrer David Coultard. Formel Eins ist ihre Leidenschaft, und sonntags, auf der Veranda vor ihrer Laube, klebt sie am Fernseher. Jeder in der Kleingartenanlage weiß das, denn trotz schützender Hecken ist das Private hier immer auch öffentlich. Man beäugt sich beim Grillen und beim Planschen im Badebottich, bewundert neue Gartenzwerge und den klug gepfropften Kirschbaum.

Parzelle Paradies Szenenfoto Spezialbild
Der Traum vom Pool - verwirklicht auf knappem RaumBild: Thomas Aurin

Die meisten Darsteller, die hier in geblümten Hemden und in grüne Gärtnerschürzen gewickelt durchaus selbstironisch hacken und jäten, sinnieren, plaudern oder singen, sind Frührentner oder arbeitslos. Und sie kennen sich zum Teil schon lange, aus der Zeit, als die Kleingartenanlage Bornholm noch im Hoheitsgebiet der Hauptstadt der DDR lag, direkt im erweiterten Grenzgebiet, und ausgestattet war mit einer Truppe namens "Ordnung und Sicherheit", die dafür gesorgt hat, dass keiner Dummheiten macht.

Wildfremd und authentisch

Gitti zum Beispiel wollte rüber über die Mauer, hat einen Ausreiseantrag gestellt und wurde deswegen verhaftet und verurteilt. Sven hingegen hat sich mit der Grenzanlage arrangiert. Die Mauer hat damals nicht nur den Lärm der hinter ihr liegenden S-Bahntrasse gedämpft, sondern auch wie eine Nachtspeicherheizung gewirkt. In seinem Garten, erzählt er, waren die Tomaten immer zwei Wochen früher reif als in den Nachbarparzellen.

Dies alles sind Geschichten, die das Leben geschrieben hat, authentische deutsche Geschichten, die die Gäste dieses ungewöhnlichen Theaterabends zu hören bekommen. Viele bleiben nach der Vorstellung dann noch im Vereinslokal sitzen, plötzlich haben sie sich mit wildfremden Menschen viel zu erzählen.