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Theater der Welt 2010

2. Juli 2010

Das Festival "Theater der Welt" bietet internationalen Künstlern eine Plattform und will dem heimischen Publikum die Augen öffnen für ungewöhnliche Inszenierungen. Trotz Fußballbegeisterung und WM. Vorhang auf!

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Bühnenbild aus der Oper Montezuma - eine Heldenoper in drei Akten (Foto: Hermann Sorgeloos)
Bild: Herman Sorgeloos

Frie Leysen ist eine Theaterbesessene. Allerdings fernab des kulturellen Mainstreams: "Es ist Zeit, den Horizont zu erweitern!" ruft sie aus. Sie hat als künstlerische Leiterin das diesjährige Festival "Theater der Welt" kuratiert und sich dabei nicht geschont. Zur Vorbereitung ist sie monatelang quer durch die Kontinente gereist, und sie will, dass auch das Publikum sich ein bisschen anstrengt und aus seinen Gewohnheiten aufbricht in andere kulturelle Welten. Frie Leysen möchte anregen, inspirieren. Es gibt viel zu wenig zeitgenössische Kunst aus nichtwestlichen Kulturen in Deutschland und Europa, meint sie.

Raus aus dem Gewohnten

Frie Leysen und Manfred Beilharz (Foto: Diana Küster)
Will inspirieren: Frie LeysenBild: Diana Küster

Perspektivwechsel ist ihr Schlüsselwort: "Seit Jahrhunderten sind wir in der Welt herumgereist mit Shakespeare, Moliere und der Bibel. Die haben wir überall hingelegt und gesagt, 'Lesen Sie das alles und dann sind Sie zivilisiert'. Aber wir haben uns nie die Zeit genommen, um zu sehen, was machen die Leute da, was ist ihre Literatur, ihre Musik, was ist ihre Geschichte." Frie Leysen ist fündig geworden. 32 Produktionen hat sie nach Mülheim an der Ruhr und nach Essen eingeladen. 385 Künstlerinnern und Künstler aus 25 Ländern. Elf Welturaufführungen gibt es und das alles innerhalb von 18 Tagen. Ein anspruchsvoller Festival-Marathon – der sich freilich in der Hitze eines WM-Sommers behaupten muss.

Standfoto aus der Oper Montezuma (Foto: Herman Sorgeloos)
Montezuma - grausamer und populärer AztekenherrscherBild: Herman Sorgeloos

Umjubelter Montezuma

Der Auftakt machte es dem Publikum leicht. Eine deutsche Barockoper, der Text geschrieben von Friedrich II. ( dem "Großen"), die Musik von Carl Heinrich Graun. "Montezuma" thematisiert die Geschichte von der spanischen Eroberung Mexikos und das Komplott gegen den legendären Aztekenherrscher, eine internationale Koproduktion mit starker lateinamerikanischer Beteiligung. Das brillante junge Ensemble, insbesondere die vielen virtuosen Countertenöre, brachte das Publikum zum Jubeln. Man rühmt die hohe Gesangskunst, Temperament und Bühnenpräsenz der Künstler – aber es gibt auch Nachdenkliches. "Wenn Lateinamerikaner oder auch Chinesen die europäische Kunstmusik in solcher Perfektion singen, dann kann man nicht mehr sagen, diese Kunst gehört uns. Sie ist zu einer Musik der Welt geworden, obwohl ihre Wurzeln in Europa liegen", sagt eine Zuhörerin. Frie Leysen hätte diesen Satz sicher gerne vernommen. Auch wenn sie den Prozess lieber umkehrt und mit der Kunst der Welt kreative Räume in Deutschland eröffnen möchte.

Standfoto aus der Oper Montezuma (Foto: Herman Sorgeloos)
Die Azteken - betrogenes und verratenes VolkBild: Herman Sorgeloos

Schlote, Schattenspieler und Schamanen

Gespielt wird in Mülheim und in Essen – in Theatern, Filmhäusern, einem zum Kulturzentrum umgebauten Lokschuppen, im Parkhaus und auf der Zeche Zollverein. Gekommen sind Nachwuchs und etablierte Künstler, ein Schaulaufen von Promis soll es aber bewusst nicht geben. Doch die gibt es natürlich auch. Rocklegende John Cale zum Beispiel zeigt ein "Bergbau-Oratorium" aus seiner walisischen Heimat. Anderes klingt da schon exotischer. Schamanen und Choreographen aus Samoa, ein Schattentheater aus Thailand, japanisches Theater, eine siebenstündige chinesische Performance zur Geschichte der Kulturrevolution.

Wie viele Menschen werden sich einfinden zur Lesung von Tschechows Drama "Der Kirschgarten" in litauischer Sprache, per Video übertragen aus einer Datscha bei Vilnius bis nach Mülheim an der Ruhr? Frie Leysen ist zuversichtlich. Sie hat festgestellt, dass sich Europa wieder stärker abschließt, über eine eigene Identität diskutiert. Und sie meint deshalb: "Eine Identität muss von anderen Einflüssen inspiriert werden, sonst wird sie steril und uninteressant."

Interessant, ja – meint ein Opernbesucher nach der Premiere von "Montezuma" zögernd. Aber ob man so viel Geld nicht besser für heimische Produktionen aufwenden könne? "Ich gehe immer noch gerne ins Theater in Gelsenkirchen". Frie Leysen hat wohl noch Überzeugungsarbeit vor sich.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Marlis Schaum