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Theatralisches Kochen

Michael Brückner23. September 2002

Zehn Wochen lang dauert der mehr oder weniger glanzvolle Auftakt der Theater- und Konzertsaison in der deutschen Hauptstadt: die Berliner Festwochen.

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Paola Berselli ruft zum EssenBild: Berliner Festspiele

Theater zum Essen? Eher viel Theater um’s Essen. Die Gruppe "Teatro delle Ariette" aus der Nähe der norditalienischen Fress-Hochburg Bologna (Kosename "la grassa" - die Fette) reist seit sieben Jahren von Festival zu Festival, um den Städtern vom einfachen Leben auf dem Lande vorzuschwärmen. Zu den herbstlichen Berliner Festwochen haben sie ihre Nudelbretter in Berlin-Tempelhof aufgestellt. Die Küche der ehemaligen Groß-Kommune Ufa-Fabrik (heute ein alternatives Kulturzentrum) erhält etwas vom Flair ihres romantisch-kargen Apenninen-Bauernhofes südwestlich von Bologna.

26 Zuschauer oder besser gesagt Gäste, sitzen um eine riesige Tafel in der Küche herum. Gedeckt ist wie ein einem italienischen Landgasthaus: Blauweiß karierte Tischdecke, einfache Steingutteller und die italienischen kleinen Küchen-Messer vom Wochenmarkt, bei denen sich die dünne Klinge und der billige Plastikgriff spielend leicht verbiegen lassen.

Nudeln statt Diskurse

Berliner Festspiele
Bild: Berliner Festspiele

Während Paola Berselli und Stefano Pasquini Nudelteig zusammenrollen, um ihn dann gekonnt zu Tagliatelle zu zerschnippseln, erzählen sie aus ihrem Leben. Ihrem früheren Leben als Schauspieler an kleinen Off-Theatern im studentenbewegten Bologna der Siebzigerjahre. Von ihrem Rückzug auf ein verlassenes Landgut in einem abgelegenen Tal der Apenninen, weg von der Stadt und ihren sich im Kreise drehenden intellektuellen Endlosdebatten. 1989 war das, im Jahr des Mauerfalls, der für viele in der traditionell "roten Romagna" zwischen Po, Adria und Apennin den schmerzliche Abschied von Utopien und Ideologien bewirkte.

Totale Selbstversorgung

Ihre Gäste und Zuschauer versorgen Paola und Stefano mit Brot und Gemüse vom eigenen Hof. Alles stellen sie selbst her, sogar das Getreide aus dem sie ihr Brot und ihre Nudeln machen. Höhepunkt des Abends sind die feierlich aufgetragenen Tagliatelle mit Walnuss-Rosmarin-Soße. Kochen können sie natürlich wunderbar, außerdem ist gutes Essen sowieso die wirkungsvollste Art für angeregte Unterhaltung zu sorgen. Die Zuschauer übernehmen am Ende die Hauptrolle, man trinkt zusammen und jeder redet mit jedem.

Berlinger Festspiele
Bild: Berliner Festspiele

Der gemütlich-verfressene Abend mit dem "Theatro delle Ariette" gehört zum neuen Programmschwerpunkt "Performing Arts" der Berliner Festwochen. Nachdem sich das herbstliche Festival jahrelang auf die Berliner Philharmonie und erlesenen Musikgenuss konzentriert hatte, will man nun mehr Theater zeigen. "Konzentrierter soll es in Zukunft auch zeitlich werden", meint der neue Leiter des Bereichs Performing Arts, Marcus Luchsinger, im Gespräch mit DW-WORLD. Zweieinhalb Monate wie in diesem Jahr sind zu lang, zu gedehnt. Außerdem müssen auch die Festwochen in Berlin mit immer weniger Geld auskommen: "Mit den Wiener Festwochen oder dem Festival d’Automne in Paris können wir da nicht mithalten", meint Luchsinger.

Trotzdem bringen die zehn mal mehr mal weniger dicht gefüllten Festwochen reichlich Kultur in die bankrotte deutsche Hauptstadt. Spielorte finden sich in der ganzen Stadt. In herkömmlichen Theatern, im Wohnzimmer einer russischen Künstlerin, in Kirchen, in einem Hotel oder eben in einer Küche.