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Thomas Mann und die ironische Weltanschauung

Robert Schurz13. August 2005

Manche vermissen das Herzblut im Werk von Thomas Mann. Anderen sind seine Romane einfach zu schwierig oder zu konservativ - wohl, weil sie zutiefst von Manns Distanz und Ironie geprägt sind.

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Thomas Mann (1875-1955)Bild: dpa

"Ich sah meinen Vater sterben, ich weiß, dass ich sterben werde, und jener Gedanke ist mir der vertrauteste; er steht hinter allem, was ich denke und schreibe." (Thomas Mann)

Wenn der Gedanke an den Tod einen ständig begleitet, dann kann man entweder tod-traurig und depressiv werden oder heiter-gelöst. Gelöst heißt aber auch: distanziert. Die Dinge des Lebens gehen einen dann kaum mehr etwas an. Solche Distanz wiederum kann zu zwei Positionen führen: zu einer entschieden religiösen oder zu einer durch und durch ironischen. Thomas Mann, von dem die Zeilen stammen, war weder religiös noch depressiv. Er war ausgesprochen ironisch.

Ironie durchzieht das Werk des großen deutschen Schriftstellers, der vor 50 Jahren am 12. August 2005 starb. Seine Ironie war nicht Ausdruck eines bestimmten Humors, sondern eine Weltanschauung, ein Lebensstil, der eine spezifische politische Haltung nach sich zog. "Deswegen ist Ironie nichts unbedingt Revolutionäres. Im Gegensatz zur Satire. Diese will verändern; die Ironie mokiert sich, aber sie verändert nicht die Welt", sagt der Thomas-Mann-Experte und Biograph Hermann Kurzke: "Sie hat insofern einen konservativen Zug."

"Wie ich sie hasse, die Geschlechtlichkeit"

Ironie ist geistvolle Selbstwiderlegung der Allmacht des Geistes, die Einsicht also, dass letztlich der Geist vor der Macht des Lebens, der Triebe und des Todes nichtig sind. Doch Thomas Mann wählte die ironische Haltung nicht aus einem intellektuellen Entschluss heraus; die Distanz führte ihn allmählich zur Ironie. Und die ursprüngliche Distanz des Thomas Mann war die zu seinem Unterleib.

"Ich sage, du brauchst den Unterleib nicht zu verachten, Du darfst es aber gerne; ich tu's nämlich auch. Ich habe mich in letzter Zeit nahezu zum Asketen entwickelt. Ich sage, trennen wir den Unterleib von der Liebe. Wie ich sie hasse, die Geschlechtlichkeit." So der Jüngling Thomas Mann. Die Distanz zum Leben hängt eng mit der Distanz zum Unterleib zusammen: Beides ist Natur, eine Natur, die den Geist immer wieder irritiert.

Aber die Distanz zum Unterleib hatte noch eine andere Ursache, wie Hermann Kurzke ausführt: "Thomas Mann fühlt sich eigentlich verfolgt von der erotischen Veranlagung, die er nicht ausleben kann und nicht ausleben will."

Heroische Pflichterfüllung

Thomas Mann mit Tochter und Frau
Thomas Mann mit Frau Katja, seiner Mutter (von links) und Tocher Erika (vorne), 1939Bild: AP

Darüber ist eine Menge geschrieben und geforscht worden und es gibt wenig mehr dazu zu sagen: Thomas Mann war schwul, führte aber eine Ehe und zeugte mehrere Kinder mit seiner Frau - vielleicht sogar die größere Distanz zu seinem Triebleben, als wenn er asketisch geblieben wäre. Eine Ironie, aber gleichzeitig auch ein Eingeständnis, dass man seiner bürgerlichen Pflicht nachkommen muss. Das Werk Thomas Manns ist voll von Figuren, die gegen ihre Sehnsüchte und Begierden ihrer bürgerlichen Pflicht nachkommen, wie der Autor selber - und dabei scheitern.

Das Scheitern der bürgerlichen, heroischen Pflichterfüllung zeigt deutlich, wie gespalten der Schriftsteller war. Zur bürgerlichen Seite der Ironie gehört, dass sie Heroismus im allgemeinen nicht akzeptiert.

Der wissende Spießer

Serenus Zeitblom in dem Roman "Doktor Faustus" ist der typische Bürger: Er ist harmlos, weil er sich nicht der Sinnlichkeit, dem Leben hingibt, aber er ist in dieser Distanz allen überlegen, weil er die Kraft zur rückhaltslosen Selbstreflexion hat. Er weiß, dass er ein Spießer durch und durch ist, aber dieses Wissen um seine Schwächen erlöst ihn davon, stark sein zu müssen. Zeitblom überlebt alle, hat in allem Recht behalten. Der Held jedoch ist tragisch und letztlich ein Narr: Doktor Faustus kommt am Ende seines Lebens in ein Irrenhaus und vegetiert dann als verblödeter Volltrottel bei seiner Mutter.

Dem Bürgersohn Thomas Mann erging es allerdings anders: Auf seinen Reisen durch Europa wurde der Nobelpreisträger hofiert und geehrt. Am 12. August 1955 starb er in Zürich an Lungenkrebs.