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Der "Che Guevara Afrikas"

Hilke Fischer31. August 2015

In sechs Wochen wird in Burkina Faso gewählt. In diesen Tagen ist der Name eines Mannes in aller Munde, der bereits seit 28 Jahren tot ist: Der legendäre Ex-Präsident Thomas Sankara. Ein Portrait.

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Thomas Sankara Foto: ALEXANDER JOE/AFP/GettyImages
Bild: Getty Images/AFP/A. Joe

Sechzehn Kandidaten stehen auf der vorläufigen Liste der Präsidentschaftskandidaten, die am Samstag in Burkina Faso veröffentlicht wurde. Einer von ihnen ist Bénéwendé Sankara, der für die Sankaristen-Partei "Vereinigung für die Wiedergeburt" ins Rennen geht. Die Partei beruft sich auf Thomas Sankara, den ehemaligen Präsidenten des Landes. Bénéwendé Sankara ist zwar nicht mit ihm verwandt - aber der Name zieht: Auch 28 Jahre nach seinem Tod ist Thomas Sankara eine Legende.

Die Umstände Sankaras Ermordung sind bis heute nicht geklärt. Ende Mai dieses Jahres wurden seine sterblichen Überreste exhumiert, in der Hoffnung, dass die späte Untersuchung Aufschluss geben kann. Denn jahrzehntelang lag der Fall auf Eis. Blaise Compaoré, bis Oktober 2014 Präsident von Burkina Faso, schien kein Interesse daran zu haben, den Tod seines Vorgängers aufzuklären. Für Yamba Malick Sawadogo, Weggefährte Sankaras, ist das ein klares Indiz dafür, dass Compaoré eine Mitschuld trägt. Er nennt ihn im DW-Interview sogar "Mörder".

Trauern am Grab von Thomas Sankara vor seiner Exhumierung ISSOUF SANOGO/AFP/Getty Images
Trauern am Grab von Thomas Sankara vor seiner ExhumierungBild: Getty Images/I. Sanogo

Compaoré putschte seinen langjährigen Freund Sankara am 15. Oktober 1987 aus dem Amt. Bei einem Schusswechsel zwischen Putschisten und Leibgarde wurde Sankara tödlich getroffen und anschließend, zusammen mit zwölf seiner Anhänger, hastig begraben. "Seit 27 Jahren kämpfen wir für ein Gerichtsverfahren", so Sawadogo im DW-Interview. "Wir wollen wissen, wer ihn getötet hat und warum man ihn getötet hat. Das ist doch das Minimum."

Charismatisch und bescheiden

Auch Thomas Sankara kam 1983 durch einen Putsch an die Macht. Er galt als hochintelligent, war rhetorisch brillant und charismatisch. Seine persönliche Integrität und Bescheidenheit standen in krassem Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Potentaten und machten ihn bereits zu Lebzeiten zu einer Legende. Die Luxuslimousinen der Vorgänger-Regierung ließ Sankara verkaufen und verpflichtete die Minister stattdessen, so wie er selbst, einen Renault 5 zum Dienstwagen zu nehmen - das billigste Auto in Burkina Faso. Anfang 1987 legte Sankara seine Vermögensverhältnisse offen. Sie entsprachen dem Lebensstandard seines Landes, das nach wie vor zu den ärmsten Entwicklungsländern zählt.

"Das, was Thomas Sankara ausgezeichnet hat, war seine Authentizität", erzählt Weggefährte Sawadogo, der von Anfang an Teil von Sankaras "afrikanischer Revolution" war. "Trotz seiner Bildung, seines militärischen und politischen Ranges blieb er sich selbst immer treu."

Das Land der Aufrichtigen

Bis 1984 hieß das westafrikanische Land Obervolta, dann gab ihm der bekennende Panafrikanist Sankara einen neuen Namen: Burkina Faso - das Land der Aufrichtigen. Sankara war Visionär, er wollte einen Staat schaffen, der frei war von Korruption, unabhängig vom Westen, vereint mit den afrikanischen Nachbarländern. Dabei ließ er sich von der kubanischen Revolution und von seinem ghanaischen Amtskollegen Jerry Rawlings inspirieren - mit ihm plante er sogar den Zusammenschluss beider Länder. Obwohl Sankara gute Kontakte nach Havanna pflegte und von vielen auch der "Che Guevara Afrikas" genannt wurde, schreckte er vor offener Kritik an sozialistischen Staaten nicht zurück.

Burkina Faso Erinnerung an Präsident Thomas Sankara Foto: ISSOUF SANOGO/AFP/Getty Images
Der Geist von Sankara lebt weiter: Demonstration im Oktober 2014Bild: Getty Images/I. Sanogo

Im August 1984 ließ Sankara Grund und Boden verstaatlichen. Er investierte in die Gesundheitsversorgung, ließ Schulen bauen, schrieb sich den Kampf gegen den Hunger auf die Fahnen, startete ein Programm zur Wiederaufforstung um der Wüstenbildung entgegenzuwirken, und setzte sich für die Rechte der Frauen ein. Er verbot die weibliche Beschneidung, verurteilte Polygamie und propagierte Verhütung. In seiner Regierungsmannschaft waren so viele Frauen wie nie zuvor in einem afrikanischen Staat. Seine Leibwache: eine nur aus Frauen bestehende Einheit auf Motorrädern.

"Revolutionäre kann man töten - nicht aber ihre Ideen"

Mit seinen zum Teil eigenwilligen politischen Aktionen und seiner Neigung zu radikalen Entscheidungen machte sich Sankara auch Feinde. Als 1984 rund 2000 Lehrer für höhere Gehälter streikten, ließ er sie kurzerhand feuern. Im Januar 1985 protestierten die Gewerkschaften gegen den Verlust der demokratischen Freiheiten und die sinkende Kaufkraft. Sankara suspendierte daraufhin elf Gewerkschaftsführer von ihren Ämtern, ein führender Arbeitnehmervertreter wurde wegen kritischer Äußerungen inhaftiert.

Am 15. Oktober 1987 kam der Putsch, in dessen Verlauf Sankara ermordet wurde. "Als ich meinen Mann das letzte Mal gesehen habe, war er am Leben. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich ihn nie wiedersehen würde", sagt Mariam Sankara, die Witwe des Getöteten, im DW-Gespräch. 1988 verließ sie Burkina Faso. "Ich hatte kein gutes Leben in dem Land. Ich wurde verfolgt, genau wie meine Kinder und andere Personen aus meinem Umfeld."

Blaise Compaore Foto: SIA KAMBOU/AFP/Getty Images
Ex-Präsident Blaise Compaoré: Welche Rolle spielte er im Fall Sankara?Bild: AFP/Getty Images/Sia Kambou

Blaise Compaoré regierte Burkina Faso 27 Jahre lang. Als er sich mit Hilfe einer Verfassungsänderung fünf weitere Jahre an der Macht sichern wollte, gingen die Menschen im "Land der Aufrichtigen" auf die Straße und zwangen ihn zum Rücktritt. Viele, auch jüngere Demonstranten, sahen sich durch die Visionen von Thomas Sankara inspiriert. "Revolutionäre kann man töten - nicht aber ihre Ideen", hatte Sankara eine Woche vor seinem Tod gesagt. An diesen Satz erinnern sich heute wieder viele in Burkina - sechs Wochen vor der Wahl, die zum ersten Mal seit fast 40 Jahren einen neuen Präsidenten auf demokratischem Wege hervorbringen soll.

Mitarbeit: Richard Tiéné, Fréjus Quenum