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"Heidelberg muss Weltzentrum des Liedes werden"

Rick Fulker6. Mai 2016

Mit dem Liedzentrum in Heidelberg soll etwas weltweit Einzigartiges entstehen. Sein Gründer und Leiter Thorsten Schmidt erklärt im DW-Gespräch, dass es um viel mehr gehe als den Erhalt eines historischen Musikgenres.

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Thorsten Schmidt vom Musikfestival Heidelberger Frühling (Foto: Internationales Musikfestival Heidelberger Frühling / Nikolaj Lund)
Bild: Internationales Musikfestival Heidelberger Frühling / Nikolaj Lund

DW: Beim Wort "Lied" denken Viele an die Menschen, die zu Fernsehcastingshows pilgern, in der Hoffnung, ein Star zu werden - oder an die 200 Millionen TV-Zuschauer, die den Eurovision Song Contest gucken. Aber mit dem im Frühjahr gegründeten Heidelberger Liedzentrum ist wohl etwas anders gemeint, oder?

Thorsten Schmidt: So sehr in die Breite kann man, glaube ich, nicht gehen. Ausgangspunkt für uns bleibt das klassische-romantische Lied.

Auf Englisch ist die Unterscheidung klarer. Für das Kunstlied benutzt man das deutsche Wort "Lied". Heidelberg ist ein historisches Zentrum dieses Genres. Stadtansichten, Burgruinen und die Natur rund um die Stadt haben viele Künstler inspiriert: die Dichter Goethe und Brentano oder die Liederkomponisten Schumann und Brahms, um nur einige zu nennen. Jetzt gibt es ein Liedzentrum in Heidelberg. Ganz salopp gefragt: Was geht da hinein, und was kommt heraus?

Die Institution Liedzentrum entsteht gerade. Sie ist noch virtuell. Es wird darum gehen, innovative Formate und Präsentationsformen für das Lied zu finden. Ferner wollen wir Nachwuchsförderung betreiben - und auch Musikvermittlung, um Menschen wieder stärker an das Lied heranzuführen. Beim Festival Heidelberger Frühling haben wir schon die Lied Akademie. Im Februar 2017 zieht der Wettbewerb "Das Lied" von Thomas Quasthoff von Berlin nach Heidelberg. Und wir bauen ein Netzwerk von Veranstaltern, Sängerinnen und Sängern, Kulturinstitutionen und Komponisten auf. Das Liedzentrum ist international angelegt.

Thomas Quasthoff beim Jazzfest Bonn (Foto: Jazzfest Bonn)
Der ehemalige Liedsänger Thomas Quasthoff ist Dozent und singt heute Jazz - wie neulich beim Jazzfest BonnBild: Jazzfest Bonn

Thomas Quastoff hat einmal vom drohenden Untergang des Kunstliedes gesprochen. Ist ihr Ziel der Erhalt des Genres oder geht es Ihnen um mehr?

Zunächst geht es darum, dem Lied stärkere Aufmerksamkeit im Konzertleben zu verschaffen, denn es ist nicht leicht, für junge Sängerinnen und Sänger ein Publikum für Liederabende zu finden.

Das Lied hat ein etwas angestaubtes Image. Gibt es ein Generationenproblem?

Ja, teilweise. Aber zum Lied gehören auch durchaus andere Dinge: Bob Dylan, Tom Waits, auch aktuelle Singer-Songwriter. Um aus dem Schubladendenken herauszukommen, kann man auch genreübergreifende Abende machen. Hier in Heidelberg haben wir zum Beispiel Lied und Tanz zusammengeführt. Thomas Hampson und Thomas Quasthoff, die das Liedzentrum unterstützen, denken beide genreübergreifend. Das kann überzeugen, wenn man es auch singen kann. Peinlich ist, wenn Sänger Sachen tun, die sie lieber nicht tun sollten.

Also nach dem Motto: Nach Schubert, Schumann und Brahms sind Gershwin und die Beatles die besten Liederkomponisten?

Absolut! Es geht aber auch um die Frage: Was mache ich mit dem Lied? Meines Erachtens ist das Lied eine dritte Form: Wir haben Text und Musik und beides zusammen ergibt das Lied. Es ist etwas Eigenes. Das heißt: Wir haben einen doppelten Verstehensprozess. Vom Text her neue Darstellungsformen abzuleiten, kann zum Beispiel sehr interessant sein.

Blick auf den Neckar, die Alte Brücke, das Heidelberger Schloss und die Heiliggeistkirche (Foto: picture alliance/Daniel Kalker)
Heidelberg hat schon viele berühmte Musiker inspiriertBild: picture alliance/Daniel Kalker

Gibt es produktives Liedschaffen heute?

Hochproduktives! In Bad Kissingen gibt es eine Liedwerkstatt. Komponisten wie Wilhelm Killmayer oder Aribert Reimann haben viel gemacht. Die Liederzyklen von Wolfgang Rihm sind hochinteressant. Und junge Komponisten lösen sich von der Form des Klavierliedes, indem sie dem Text eine ganz andere Instrumentierung unterlegen.

Was ist für Sie der nächste Schritt?

Wir werden eine Internetplattform aufbauen, die gemeinsam von den Partnern gespeist wird. Und wenn einer Fragen zu Lied hat, weiß er dann, wo er nachschauen muss.

Erhalten Sie auch finanzielle oder strukturelle Hilfe?

Baden-Württemberg ist sehr interessiert. Von der geschichtlichen Betrachtung einmal abgesehen, ist das Bundesland heutzutage reich gesegnet. Denn wir haben das Literaturarchiv Marbach hier, das Volksliedarchiv in Freiburg und die Hugo Wolff-Akademie in Stuttgart. Wir wollen auch den Bund darauf aufmerksam machen, dass das Lied eines der wesentlichen immateriellen Kulturgüter Deutschlands ist. Bei Musikfreunden weltweit wird das deutschsprachige Lied sofort mit Deutschland verbunden. Weil Entscheidungen über staatliche Förderung jedoch lange dauern, versuche ich jetzt schon, Mittel über Sponsoren und Mäzene aufzutreiben.

Gibt es bereits ähnliche Einrichtungen?

Im Augenblick gibt es gar nichts Vergleichbares, nur einzelne Veranstaltungsreihen wie das Festival "Der Zwerg" in der Nähe von Stuttgart oder die Schubertiade in Schwarzenberg. Die machen tolle Sachen. Und wir wollen auf sie aufmerksam machen. Heidelberg ist von der Prägung und der Geschichte so, dass man sagen könnte: Wenn es ein Weltzentrum des Liedes gibt, muss es in Heidelberg sein.

Immer wieder sagen mir bekannte Sänger oder Dirigenten: Ihre Musikalität speise sich daraus, dass in ihrer Familie oder in ihrem Land viel gesungen worden sei. Kann man sich dem Kunstlied über das Volkslied annähern?

Das ist sogar ein zentraler Ansatz. Man muss die Leute dazu bringen, wieder zu singen. In den baltischen Staaten ist das ganz selbstverständlich. Bei uns sollte man das Singen schon im Kindergarten forcieren. Auch die altmodisch anmutenden Volkslieder können ein wichtiger erster Schritt zum Kunstlied sein.

Das Gespräch führte Rick Fulker in Heidelberg.

Thorsten Schmidt ist Intendant des Festivals Heidelberger Frühling, dessen 20. Jahrgang am 30. April zu Ende ging. Zu den erfolgreichen Formaten des Festivals gehören Liederabende und die Lied Akademie, in der bekannte Liedsänger und -sängerinnen wie Brigitte Fassbaender, Thomas Hampson oder Thomas Quasthoff mit Nachwuchstalenten zusammenarbeiten.