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Neuer Schutz vor Thrombose

3. Dezember 2009

Eine Wuppertaler Forschergruppe hat in diesem Jahr den Deutschen Zukunftspreis gewonnen. Sie hat ein neues Thrombosemittel entwickelt, das das Leben für Patienten und Ärzte in Zukunft um einiges erleichtern könnte.

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Pinzette hält Xarelto-Tablette (Foto: Bayer AG)
Die neue Thrombosetablette Xarelto®Bild: Bayer AG

Jedes Jahr erkranken zehntausende Menschen in Deutschland, weil sich irgendwo in ihrem Körper ein Blutgerinnsel gebildet hat. Am häufigsten tritt solch eine Thrombose in den Venen der unteren Körperhälfte auf, in Beinen oder Becken. Das kann zwar schmerzhaft sein, stellt aber noch keine große Bedrohung dar. Gefürchtet sind allerdings die möglichen Komplikationen. Wird nämlich der Thrombus mit dem Blutstrom weitergeschwemmt, besteht die Gefahr, dass er sich in einem der zentralen Organe wie Hirn, Lunge oder Herz festsetzt und dort ein Blutgefäß blockiert. Schlaganfall, Lungenembolie und Herzinfarkt sind die Folge.

Pro Jahr ereignen sich in Deutschland mehr als 100.000 Lungenembolien, zwischen 25.000 und 30.000 Fälle verlaufen tödlich. Überhaupt sterben in der westlichen Welt mehr Menschen an Thrombosen und ihren Folgen als an Brust- und Prostatakrebs, HIV und Verkehrsunfällen zusammen. Menschen mit Übergewicht und Schwangere sind besonders gefährdet, außerdem Raucher und Frauen, die mit der Pille verhüten, dazu Menschen, die an Flüssigkeitsmangel leiden oder bettlägerig sind, zum Beispiel nach einer schweren Operation. Auch wer schon einmal eine Thrombose hatte, besitzt ein höheres Risiko, erneut zu erkranken.

Verbesserungsbedarf bei herkömmlichen Mitteln

Molekularstruktur des Medikaments Xarelto (Grafik: Bayer AG)
Das neue Medikament hemmt das Enzym Thrombin und damit die BlutgerinnungBild: Bayer AG

Bisher waren zwei Gruppen von Thrombosemitteln auf dem Markt: Heparine und Vitamin-K-Antagonisten, beide zwar wirksam, aber nicht unkompliziert in der Anwendung. "Heparine müssen täglich gespritzt werden, teilweise wochenlang. Das ist natürlich sehr unangenehm", erklärt die Anästhesistin Dagmar Kubitza. "Außerdem muss man mit der Dosierung aufpassen, wenn die Patienten eingeschränkte Nierenfunktionen haben. Auf der anderen Seite gibt es die Vitamin-K-Antagonisten. Tabletten, deren Wirkung man aber sehr genau mit Blutkontrollen überwachen muss, weil es viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und der Nahrung des Patienten gibt." Oft komme es zu einer Unterdosierung des Medikamentes oder aber – bei Überdosierung – zu Blutungen. Außerdem dauere es ungefähr eine Woche, bis die Vitamin-K-Antagonisten wirkten und genauso lange, bis die Wirkung nach Beendigung der Einnahme wieder verschwinde.

Keine Kontrolle, kaum Nebenwirkungen

Dagmar Kubitza, Frank Misselwitz und Elisabeth Perzborn (Foto: Bayer AG)
Die Ärzte Frank Misselwitz und Dagmar Kubitza haben gemeinsam mit der Pharmakologin Elisabeth Perzborn (v.l.n.r.) die Entwicklung geleitetBild: Bayer AG

Seit 1995 ist Dagmar Kubitza nicht mehr als Ärztin in einer Klinik tätig, sondern arbeitet als Klinische Projektleiterin im Bereich "Klinische Pharmakologie" für die Bayer AG in Wuppertal. Gemeinsam mit einem Team von Forschern hat sie an der Entwicklung eines neuen Thrombosemittels mitgearbeitet. Xarelto® heißt das Medikament, das entscheidende Vorteile gegenüber den herkömmlichen Mitteln besitzt. "Xarelto® kann einmal täglich als Tablette gegeben werden", sagt Dagmar Kubitza. "Die Dosis muss nicht angepasst werden und es muss auch nicht kontrolliert werden."

Während der klinischen Studien soll Xarelto® an insgesamt mehr als 65.000 Patienten getestet werden. Dabei, so die Projektleiterin, wurde das Medikament in den bisherigen Studien gut vertragen. "Vielleicht mal ein kleiner, blauer Fleck. Das ist zwar unangenehm, aber keine große Sache." Seit Oktober 2008 kann das Medikament zur Prävention von venösen Thromboembolien und bei erwachsenen Patienten, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk bekommen haben, eingesetzt werden. Weitere Anwendungsbereiche, wie Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern, sollen bald folgen. "Ich sehe eine große Bandbreite von Anwendungen", sagt Dagmar Kubitza. "Und da die Substanz gegenüber den vorhandenen Medikamenten Vorteile hat, glaube ich auch, dass Xarelto® auf jeden Fall zum medizinischen Fortschritt entscheidend beitragen wird."

Mutter Xarelto

Dr. Elisabeth Perzborn (Foto: Bayer AG)
1997 gab Elisabeth Perzborn den ersten AnstoßBild: Bayer AG

Die Idee zum neuen Thrombosemittel kam von Elisabeth Perzborn. Gemeinsam mit Dagmar Kubitza und dem Arzt Frank Misselwitz hat die Pharmakologin die Entwicklung des Medikaments geleitet. "Ich habe mich immer für die Thrombose interessiert", sagt sie. "Da lag es nahe, einmal zu schauen, welchen verbesserten Gerinnungshemmer wir entwickeln könnten. Ich habe mir die Gerinnungskaskade angeschaut und für mich war ganz klar: Faktor Xa, das ist es." Ihre Augen leuchten, während sie erzählt. Die Gerinnungskaskade ist eine Kettenreaktion, die im Körper ganz natürlich immer dann abläuft, wenn irgendwo ein Blutgefäß verletzt wird. Zum Beispiel durch einen Schnitt in den Finger. Gegen Ende der Kaskade greift Faktor Xa ein. Er bewirkt die Bildung von Thrombin, einem Enzym, das die Gerinnselbildung fördert. Xarelto® hemmt Faktor Xa und damit die Blutgerinnung.

1998 gab sie den ersten Anstoß, ein Jahr später stieg die Bayer AG in die Forschung ein. Schon zehn Jahre später war Xarelto® mit seiner ersten Zulassung auf dem Markt. Für ein Medikament eine eher kurze Zeitspanne. Die Tatsache, dass sie die Ideengeberin war, hängt Elisabeth Perzborn nicht sehr hoch. Allerdings: Einen kleinen Hinweis darauf findet man schon vor dem Betreten ihres Büros im Wuppertaler Forschungszentrum. Auf das Namenschild neben der Tür hat jemand einen kleinen Zettel geklebt. Darauf steht: Mutter Xarelto.

Ein Kind Wuppertals

Tablettenproduktion in Bayerwerk (Foto: Bayer AG)
Die Produktion von Xarelto® in WuppertalBild: Bayer AG

Seine Marktfähigkeit hat Xarelto® seit es im Oktober 2008 zugelassen wurde schon bewiesen. Folgen Zulassungen für weitere Anwendungsbereiche, rechnet die Bayer AG mit einem jährlichen Umsatzpotential von zwei Milliarden Euro. Schon jetzt wurden vor allem in Wuppertal dank Xarelto® rund 500 Arbeitsplätze geschaffen und gesichert. Idee, Entwicklung, klinische Studien, Produktion und Marketing, alles fand und findet in Wuppertal statt.

Autor: Andreas Ziemons
Redaktion: Judith Hartl