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"Tiefes Misstrauen gegenüber dem Westen"

Anne Allmeling13. September 2012

In islamischen Ländern breiten sich Proteste gegen den Westen oft sehr schnell aus. Im Gespräch mit der Deutsche Welle erklärt der Arabist und Historiker Henner Fürtig dieses Phänomen.

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Porträt von Professor Dr. Henner Fürtig (Fotot: Werner Bartsch)
Bild: Werner Bartsch

Deutsche Welle: Nach den Ausschreitungen in Libyen, Ägypten und im Jemen gehen Beobachter davon aus, dass es auch in anderen islamischen Ländern zu Protesten kommt. Warum?

Henner Fürtig: Die Ausschreitungen erinnern fatal an die Proteste, die wir im Zusammenhang mit den Karikaturen in der dänischen Presse in Erinnerung haben. Man sieht hier eine ähnliche Dynamik. Eine zusätzliche Brisanz entwickelt sich allerdings dadurch, dass die Ausschreitungen im Umfeld von 9/11 stattfinden.

Wer steckt hinter diesen Protesten?

Es handelt sich in erster Linie um spontane Protestbekundungen und Ausbrüche von Volkszorn, die wir sowohl jetzt im Jemen als auch in Ägypten gesehen haben. Was Libyen betrifft, vermutet man hier wohl zu Recht, dass es ein geplanter Anschlag war. Dafür spricht die Bewaffnung der Angreifer zum Beispiel mit Panzerfäusten.

Was wollen diese Menschen erreichen, die sich mit Gewalt gegen die USA wenden?

Dieses salafistische, gewaltbereite Element beobachten wir nicht erst seit heute oder seit einigen Monaten. Es ist seit dem arabischen Frühling stärker geworden und fällt jetzt auch politisch mehr ins Gewicht - teilweise unterstützt durch Wahlerfolge. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich auch Veränderungen im Zusammenhang mit dem arabischen Frühling ergeben haben, die nicht nur positiv sind. Aber letztlich agieren diese Menschen aus einer Grundstimmung heraus, die sich mit einem tiefen Misstrauen gegenüber dem Westen und seinen Absichten in Verbindung bringen lässt. Das ist über Jahre und Jahrzehnte gewachsen, nicht zuletzt aus dem Kolonialismus. Es ist aber nicht so, dass die gesamte Bevölkerung in diesen Ländern diesem Mechanismus folgt, es sind natürlich immer nur Bruchteile. Aber diese Bruchteile sind sehr gewalttätig.

Warum entfalten sie dennoch eine solche Dynamik?

Auch im arabischen Frühling haben wir eine deutlich sichtbare Beeinflussung von Land zu Land beobachtet. Das sind auch Ergebnisse der elektronischen Revolution, die alle Teile der Welt erfasst. Es ist heute nicht mehr möglich, Entwicklungen zu verzögern, weil man voneinander weiß. Das Beispiel im Nachbarland steckt an. Es ist letztendlich eine natürliche Entwicklung, dass die Menschen im Jemen sehr schnell mitbekommen, was in Kairo passiert, was in Libyen passiert, und dann auch selbst aktiv werden. Aber ich glaube, dass man Al-Kaida maßlos überschätzt, wenn man hinter all diesen Vorgängen eine sorgfältig planende Hand des Terror-Netzwerkes vermutet.

Wie kann der Westen denn solchen Ausschreitungen angemessen begegnen?

Diese Art von spontanen Eruptionen kann man nicht voraussehen. Man kann solche Entwicklungen auch nicht von vornherein ausschließen. Ich glaube, man muss hier Ursache und Wirkung geschickt auseinanderhalten.

Und was war die Ursache?

Die Ursache war eine offensichtliche Provokation. Und bei der Schnelllebigkeit und der kurzen Verbindung, die heute das Internet und andere elektronische Medien möglich machen, kann man die Folgen nicht wirklich verhindern, so dass wir mit Toten, mit Zerstörung in anderen Teilen der Welt leben müssen - aber ich sehe hier von keiner Seite eine wirklich planende Hand.

Professor Henner Fürtig ist Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg.

Das Interview führte Anne Allmeling.