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Tik-Rausch in Kapstadts Townships

3. Februar 2011

Sie ist billig und einfach zu beschaffen: Die Modedroge Tik hat in Südafrika längst die Townships erobert. Kapstadt ist die Drogen-Hauptstadt. Die Folge: Gewalt und Kriminalität nehmen immer weiter zu.

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Tik (Foto: sanccob)
Gefährliche Modedroge: TikBild: Sanccob

Eine Gruppe junger Männer steht an einer viel befahrenen Straßenkreuzung in Bonteheuwel, einer Township am Rande von Kapstadt. Ihre T-Shirts und Hosen sind zu groß für ihre schmalen Körper, ihre Blicke sind einschüchternd. Sie wirken aggressiv. Die jungen Männer sind high. Sie haben vor wenigen Minuten Tik geraucht. Tik ist laut einer aktuellen Studie die beliebteste Droge in Kapstadt und Umgebung. Mit verheerenden Konsequenzen, sagt Sayem. Er muss es wissen, ist er doch seit drei Wochen auf Entzug. "Die Jugendlichen hier brechen in Häuser ein. Diebstähle sind an der Tagesordnung. Die meisten von ihnen sind schwer abhängig. Die Kriminalität ist extrem hoch."

Die Droge der Armen

Tik – die meistgenutzte Droge in Kapstads Townships (Foto: sanccob)
Tik – die meistgenutzte Droge in Kapstads TownshipsBild: Sanccob

Bis vor kurzem war Sayem selbst ein Teil des Kapstädter Drogenproblems. Neun Jahre lang hat er Tik geraucht. Um sich seinen Rausch finanzieren zu können, hat er seine Kleidung und Handys verkauft. So groß waren der Drang nach Tik und dem Rausch, der dabei ist, die Kapstädter Townships zu verändern und zu zerstören. "Tik gibt den armen Menschen hier Auftrieb", erzählt Kathleen Dey. "Wenn sie auf Tik sind, vergessen sie ihre Sorgen. Gerade für Menschen, die arm sind und leiden, ist das unwiderstehlich."

In Deutschland ist die Droge unter den Namen Meth oder Chrystel bekannt. Das Problem mit Tik: Es ist billig und einfach herzustellen. Anders als Kokain beispielsweise muss Tik nicht über den halben Globus geschmuggelt werden. Die Stimulans auf Amphetaminbasis wird in Südafrika in geheimen Labors zusammengemischt. Die Inhaltsstoffe kann man in jeder Apotheke kaufen. Tik wurde in Deutschland bereits im Zweiten Weltkrieg verwendet. Das Mittel sollte die Angstgefühle der Soldaten hemmen und die Leistung steigern. Über die Nebenwirkung wurden die Soldaten nicht aufgeklärt.

Tik führt zu einer Veränderung der Persönlichkeit, zu Psychosen. Es macht aggressiv, berichtet der deutsche Wissenschaftler Andreas Plüddemann. Er untersucht in Kapstadt die Folgen des übermäßigen Tik-Konsums. "Es gibt hier viele Eltern, die zum Magistrat gegangen sind, um sich vor ihren Kindern zu schützen. Die sind gewalttätig geworden. Mit anderen Drogen gab es sowas nicht. Oder sehr, sehr selten."

Anstieg der Vergewaltigungen

Vergewaltigungsopfer werden immer jünger (Foto: Rape Crisis Cape Town Trust)
Vergewaltigungsopfer werden immer jüngerBild: Rape Crisis Cape Town Trust

Der massive Gebrauch von Tik hat noch zu einem weiteren Problem geführt. Die Organisation Rape Crisis betreut die Opfer von Vergewaltigungen. Sie berichtet, dass es im Zusammenhang mit Tik zahlreiche Vergewaltigungen gibt. Kathleen Dey, die Direktorin, erzählt, seit Tik in den Townships Einzug gehalten habe, seien Vergewaltiger und Opfer immer jünger geworden und die Vergewaltigungen selbst brutaler. "Das sind schockierende Verhältnisse. Die Jüngsten sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Das sind noch Kinder. Die Gewalt wird immer heftiger." Warum die Droge Tik gerade in Kapstadt so beliebt ist, bleibt rätselhaft. Kathleen Dey glaubt, dass mehrere Faktoren dafür verantwortlich sind.

Die Zahl von allein lebenden Kindern, deren Eltern an Aids gestorben sind, extreme Armut, Hoffnungslosigkeit - und, dass die jugendlichen Tik-Nutzer sich keine Gedanken über die Konsequenzen machen. Sie blenden ihre Zukunft schlicht aus. Erschwerend kommt laut Sayem hinzu, dass Teile der Polizei mit den Drogenhändlern zusammenarbeiten. "Die sind doch bestechlich. Wenn ich genügend Geld habe, schiebe ich einem Polizisten einfach 100 Euro rüber. Der freut sich doch darüber. Und wird mir im Gegenzug erzählen, wenn mal eine Razzia geplant ist."

Drogenfreie Zukunft

Sayem, der seit wenigen Wochen ein Entzugsprogramm besucht, hat nicht freiwillig aufgehört. Er wurde von seinem Arbeitgeber erwischt, der das Ganze seinen Eltern berichtet hat. Neun Jahre lang hat Sayem Tik geraucht. Neun Jahre, in denen er mit seinen Eltern unter einem Dach gelebt und sie systematisch belogen hat. Sie waren es, die den 26-Jährigen schließlich zum Entzug gedrängt haben. Sayem hofft jetzt auf eine drogenfreie Zukunft. Das allerdings wird nicht einfach. Sayem wohnt in Bonteheuwel. Tik ist hier allgegenwärtig.

Autor: Jörg Poppendieck
Redaktion: Katrin Ogunsade