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Tod eines Lehrers

Steffen Leidel 6. November 2008

Im Spanischen Bürgerkrieg und in der Franco-Zeit wurden Tausende Republikaner und Regimegegner hingerichtet. Die Angehörigen leiden an den Folgen bis heute. Der Sohn eines getöteten Lehrers erzählt seine Geschichte.

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Die Brüder Fernando (links, 77) und Francisco (79) Matarán
Die Brüder Fernando (links, 77) und Francisco (79) MataránBild: DW/Steffen Leidel

Das Leben, das er sich einst vorgenommen hatte, wird für Francisco Matarán stets ein Traum bleiben. Arzt wäre sein Wunschberuf gewesen. Heute ist Matarán 79 Jahre alt. Die Umstände entschieden, wie er zu leben hatte. "Es ging immer darum, durchzukommen. Aber eigentlich lief es trotz allem immer ganz gut."

Mataran dreht sich eine Zigarette, öffnet eine Bierdose in seinem Wohnzimmer im alten Stadtviertel Realejo von Granada. Von der Couch aus kann er hinaus blicken über die Dächer seiner Heimatstadt. An das Ereignis, das sein Leben und das seiner acht Geschwister so bestimmen sollte, hat er nur vage Erinnerungen. Doch seine älteren Brüder erzählten ihm detailliert, was an jenem 13. August 1936 geschah. Sein Vater rasierte sich gerade, als die Guardia Civil, die Militärpolizei, kam, um ihn abzuholen. Die Faschisten unter der Führung des Generals Francisco Franco hatten sich knapp einen Monat zuvor gegen die Republik erhoben. Überall im Land lief eine Verhaftungswelle gegen die "Roten", die Anhänger der Republik.

Kruzifix abgehängt

Die Repression richtete sich vor allem gegen die Lehrer. Mataráns Vater unterrichtete zusammen mit der Mutter in dem kleinen Dorf in Alhendín bei Granada. "Die Landreform und die Bildungsmissionen waren ja die wichtigsten Projekte der Republik", erzählt Matarán. Die Landbevölkerung konnte kaum lesen und schreiben. Der Vater war in das Dorf gezogen und entfernte als erste Amtshandlung das Kruzifix aus dem Klassenzimmer und ersetzte mit dem Symbol der Republik. "Das hat ihm den Dorfpfarrer zum Feind gemacht", sagt der Sohn.

Francisco Matarán und seine Frau (Quelle: Familie Matarán)
Francisco Matarán und seine FrauBild: Familie Matarán

In der Lokalzeitung aus jener Zeit ist dokumentiert, wie der Lehrer Matarán fast gelyncht wurde. "Der Pfarrer veranstaltete eine Prozession und beschimpfte meinen Vater als Antichrist und hetzte die Menge auf ihn", sagt Matarán. Der Vater konnte sich retten, doch als die Polizei ihn und den ältesten Sohn am 13. August abholte, war es ein Abschied für immer. Die beiden wurden erschossen. "Bis heute wissen wir nicht, wo ihre Leichen verscharrt worden sind", sagt Matarán. Später bekamen sie die Sterbeurkunden überreicht, mit dem Hinweis "Durch Kriegswaffe gestorben".

Ferienfreizeit mit den Franquisten

Für die Familien war der Mord am Vater eine Katastrophe. "Meine Mutter war plötzlich allein mit acht Kindern." Sie durfte ihren Beruf nicht mehr ausüben. Francisco verstand lange nicht, was seinem Vater passiert war. "Meine Mutter schickte uns schließlich zur Jugendorganisationen der Falangisten, den Franco-Anhänger. Dort bekamen wir etwas zu essen, sie gaben uns Stiefel und wir wurden auf Ferienfreizeiten geschickt." Doch je älter er wurde, um so mehr verstand er. "Schließlich weigerte ich mich, weiter zu den Falangisten zu kennen, und ich weigerte mich auch in die Kirche zu gehen." Doch über das Schicksal des Vaters und des ältesten Sohnes wurde kaum gesprochen.

"Irgendwann war ich dieses System satt", sagt Francisco. Er wanderte nach Argentinien aus, auch seine Geschwister emigrierten nach Buenos Aires. Dennoch zog es alle wieder zurück in die Heimat. Als sich in den 1960er Jahren das Franco-Regime öffnet, kehren die Matarans zurück nach Granada, auch die Mutter. Francisco eröffnet einen Buchladen. "Ich verkaufte dort heimlich Bücher, die in Spanien verboten waren. Selbst die Rechten kamen zu mir, um die verbotenen Bücher zu kaufen." Darunter Werke von Albert Camus oder García Lorca. Die Polizei wusste von dem illegalen Geschäft, doch sie unternahm nichts. In dem Viertel, in dem Matarán lebte, kennen sich alle. "Solange ich nicht übertrieb, passierte mir nichts."

Täter auf beiden Seiten

1975 starb Franco. "Ich ließ keine Sektkorken knallen. Doch von meinen Schultern fiel eine schwere Last, schließlich hatte ich 40 Jahre auf seinen Tod gewartet." Heute ist Spanien eine gefestigte Demokratie. Matarán und die Geschwister, die noch leben, verbringen einen ruhigen Lebensabend. Dennoch die Wunden aus jener Zeit sind bis heute nicht verheilt, auch nicht die Schuldgefühle bei jenen, die auf der anderen Seite standen. "Freunde von mir, die sich zu den Konservativen zählen, reagieren heute noch gereizt, wenn es um die Vergangenheit geht. Es ist als hätten sie ein schlechtes Gewissen."

Matarán will keine Vergeltung für das was geschah. Er weiß auch, dass die Anhänger der Republik viele Gräueltaten begingen. "Worum es jetzt geht, ist, sich der Vergangenheit zu stellen und schlicht und einfach die Wahrheit aufzudecken."