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"Keine abschreckende Wirkung"

Wolfgang Dick8. September 2014

Für das gescheiterte Bombenattentat in Bonn muss sich jetzt ein zum Islam konvertierten Mann verantworten. Wie der Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf einzuordnen ist, erläutert Terrorexperte Rolf Tophoven.

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Rolf Tophoven - Foto: Klaus Franke (ZB)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Welche Signalwirkung kann der Prozess gegen den mutmaßlichen, islamistisch motivierten Attentäter haben?

Rolf Tophoven: Die vorsitzenden Richter in Düsseldorf sind erfahren und gut aufgestellt durch die bisherige Führung von Prozessen mit islamistischem Hintergrund. Grundsätzlich haben in der Vergangenheit die Aussagen der Beklagten immer weitere Informationen für die deutschen Sicherheitsbehörden geliefert. Besonders deutlich wurde das im Prozess gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe. Da haben die Ermittler erkennen können, wie die Terror-Strukturen aussehen, wie gearbeitet und wie rekrutiert wird. Jetzt könnten wir mehr über militante Salafisten erfahren. Dass der Prozess - selbst bei einem harten Urteil - eine Wirkung auf weitere tatbereite Extremisten haben kann, schließe ich allerdings aus.

Die Bundesanwaltschaft hat keine hinreichenden Hinweise für eine Beteiligung weiterer Täter. Der 27-jährige Angeklagte Marco G. steht zunächst als Alleintäter vor Gericht. Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass radikalisierte Islamisten völlig selbstständig ohne Netzwerk in Deutschland arbeiten?

Es gibt heute tatsächlich zwei terroristische Profile. Wir haben eine ständig wachsende Szene von militanten Islamisten. Natürlich gibt es den Täter, der sich alleine im Internet radikalisiert, zum Beispiel durch Videos. Solche Personen werden auch von Verfassungsschützern im Vorfeld nicht erkannt. Die Entwicklung im Irak und Syrien hat aber eine starke Ausstrahlungskraft auf militante islamistische Zellenstrukturen, die zunehmen und wahrscheinlicher in Netzwerken auftreten.

Das geplante Bombenattentat auf dem Bahnhof von Bonn schlug fehl. Ähnlich verhielt es sich bei den Attentätern, die in einem Zug zwischen Köln und Koblenz Kofferbomben zünden wollten. Wie groß schätzen sie die tatsächliche Gefahr von solchen Tätern ein?

Es mag terroristische Amateure geben. Da orientieren sich junge Menschen an Bastelanleitungen im Internet und an Zutaten, die in Apotheken erhältlich sind. Das mag dilettantisch anmuten, aber ich würde auch fehlgeschlagene Attentate nicht abhaken unter "Straftaten von Verrückten und Fehlgeleiteten". Deutlich ist doch der Wille einer terroristischen Tat zu sehen.

In den vergangenen Tagen häufen sich Meldungen über Aktivitäten von Salafisten, Dschihadisten und radikalen Einzelkräften in Deutschland. Anwerbungen werden dreister. Gruppen treten selbstbewusster auf. Steigt damit auch die Gefahr von Anschlägen in Deutschland?

Das Problem ist, dass wir feststellen müssen, dass es zahlreiche junge Leute gibt, die aus völlig unterschiedlichen persönlichen Motiven, auch aus einer Lebens- oder Sinnkrise heraus, bereit sind, sogenannten Propagandisten auf den Leim zu gehen. Diese bieten ein vermeintliches Alternativmodell zu unseren gesellschaftlichen Normen. Das ist die große Anziehung und enorme Gefahr. Es mögen kleine Zellen sein. Es mögen kleine Kreise sein. Aber häufig entstehen gerade aus kleinen Einheiten große Anschläge. Die Sicherheitsbehörden formulieren ihre Erkenntnisse immer noch so, dass es keine Hinweise auf unmittelbar bevorstehende, konkrete Anschläge gibt. Ich gehe aber darüber hinaus: Wir haben nicht nur eine abstrakte Terrorgefahr, sondern wir haben eine aktuell sich mehr und mehr konkretisierende, wachsende Bedrohung.

Was verstärkt diese Entwicklung?

Die Anwerbung von Terrorwilligen ist vor allem durch die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke enorm gestiegen. Die Meldungen über Taten radikaler Islamisten in den aktuellen Krisenregionen ziehen ihrerseits wieder weitere Sympathisanten an.

Sicherheitsbehörden müssen viele Terrorgruppen in den Blick nehmen. Welche sind Ihrer Einschätzung nach gefährlicher - Salafisten oder Al Kaida Zellen?

Zu Lebzeiten von Osama bin Laden war sicher Al Kaida das große Terrorphänomen. Der Salafismus ist heute die Radikalbewegung innerhalb des Islam, die sehr nahe an Auffassungen von Al Kaida herankommt. In der Dimension - wenn wir auf Syrien und den Irak schauen - hat die Bewegung der Salafisten Al Kaida schon übertroffen. Gerade durch ihre Radikalität hat sie viel für sich entschieden. Alle Top-Terroristen waren Salafisten. Sie haben die extremste Form des Salafismus verinnerlicht. Den einzigen vollendeten islamistischen Anschlag in Deutschland verübte der Salafist Arid Uka. Er erschoss am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten und verletzte zwei weitere schwer.

Sind deutsche Sicherheitsbehörden überhaupt in der Lage Extremisten zu überwachen und rechtzeitig festzunehmen?

Deutschlands Sicherheitsbehörden sind sehr gut aufgestellt, wenn es darum geht, terroristische Trends und Vorgehensweisen zu erkennen. Sie können aber nicht jeden Einzelnen überwachen und verfolgen, der nach Syrien oder den Irak in den so genannten "Heiligen Krieg" zieht. Wer hier in Deutschland mit einem deutschen Pass unbescholten gelebt hat, bietet zunächst keinen Anlass zur Überwachung. Es wird daher versucht, die Szene militanter Gruppen insgesamt zu erkennen und zu durchleuchten. Ermittlungsspezialisten gelangten immerhin an den in Düsseldorf beschuldigten Marco G. über DNA-Spuren an Bombenteilen. Die Spuren stammten von der Ehefrau und des Kindes des Angeklagten. Dieser Fahndungserfolg spricht für sich.

Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenprävention in Essen und beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Phänomenen der politisch motivierten Gewalt.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.