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Schädelkult

16. Oktober 2011

Schädel können Trophäen, Reliquien oder gar Schmuck sein. Die Ausstellung "Schädelkult" in Mannheim taucht tief ein in die Kulturgeschichte - und arbeitet mit neuesten Verfahren, um mehr über unser Haupt zu erfahren.

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CT-Bild vom Türkisbesetzen Schädel (Foto: Wilfried Rosendahl, rem)
Bild: Wilfried Rosendahl, rem

Einige Besucher kommen wahrscheinlich nur, um sich zu gruseln. Unter den 300 Schädeln gibt es tatsächlich so manche Exemplare, die ein schauriges Gefühl verursachen können. Bernd Kromer ist es egal, ob Schädeldächer abgetrennt wurden oder Nägel mitten in der Schädeldecke stecken. Ihn interessieren genau 20 Mikrogramm Knochenmaterial. Die reichen ihm, um das Alter des Schädels zu bestimmen. Dafür bohrt der Altersforscher an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim ein zwei Millimeter kleines Loch in die Schädeloberfläche, um eine Probe zu entnehmen. Circa 60 Schädel hat er im Auftrag der Reiss-Engelhorn-Museen in den Teilchenbeschleuniger geschickt. Die älteste von ihm datierte Probe stammt aus der späten Bronzezeit, die jüngste aus dem frühen Mittelalter.

Ein Schädel, dekotiert mit türkisfarbenen Mosaiksteinen, wird im Computertomographen durchleuchtet (Foto: Wilfried Rosendahl, rem) © Wilfried Rosendahl, rem
Der Computertomograph soll das Geheimnis des Schädels lüftenBild: Wilfried Rosendahl, rem

Internationales Wissenschaftsnetzwerk

Bernd Kromer ist Mitarbeiter des sogenannten "German Mummy Projects" der Reiss-Engelhorn-Museen, einem der vielleicht ungewöhnlichsten Forschungsvorhaben derzeit. Zusammen mit Experten aus unterschiedlichen Disziplinen und mit Hilfe modernster Methoden versuchen die Archäologen aus Mannheim, den Mumien ihre Geheimnisse zu entlocken. Internationale Wissenschaftler lösen Rätsel über Herkunft, Ernährung oder Rituale von Jahrtausende Jahre alten Toten. Anthropologen, Anatomen, Mediziner, Chemiker, Physiker, Biologen und Genetiker arbeiten Hand in Hand.

Eigentlich ist das "German Mummy Project" 2004 im Rahmen einer großen Mumienausstellung in Mannheim entstanden. Die Wissenschaftler waren damit derart erfolgreich, dass sie seitdem weiterforschen. Initiator ist Wilfried Rosendahl, stellvertretender Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen. "Wir untersuchen derzeit über 60 Mumien. Diese jahrelangen Kontakte und Erkenntnisse des German Mummy Projects nutzen wir jetzt auch für die Erforschung der Schädel", erklärt der Archäologe.

Rätselhafte Geschichte

Theodoros Pitzios, Direktor des archäologischen Museums in Athen, ist eigens mit einem Schädel aus Griechenland nach Mannheim gereist. Das Exemplar ist schaurig und schön zugleich: Er ist mit türkisfarbenen Mosaiksteinen dekoriert und gilt als absolute Rarität. Pitzios will seinem Geheimnis auf die Spur kommen. Vor mehr als hundert Jahren sei der Schädel nach Athen gelangt, das genaue Alter wisse niemand, erzählt er. Pitzios schätzt, dass er mehr als 500 Jahre alt ist und wahrscheinlich aus Mesoamerika stammt. Deshalb will er mit Hilfe des "German Mummy Projects" mehr über den Schädel erfahren. "Vielleicht ist er ein bisschen älter als die Azteken. Wir haben in der Literatur ähnliche Beispiele von bearbeiteten Schädeln gefunden. Wie alt er wirklich ist, das untersuchen wir jetzt." Um zu sehen, ob die Türkissteine systematisch aufgesetzt wurden, aber auch, um zu sehen, in welchem Zustand die Zahnwurzeln sind, soll der Schädel in den Computertomographen geschoben werden.

CT-Rekonstruktion eines übermodellierten Schädels (Foto: Wilfried Rosendahl, rem)
CT-Rekonstruktion eines übermodellierten SchädelsBild: Wilfried Rosendahl, rem

Modernste Technik

In der Universitätsklinik geht es eigentlich um den Erhalt von Leben. Für den Radiologen und Nuklearmediziner Christian Fink ist es immer etwas Besonderes, wenn er Mumien oder Schädel im Computertomographen durchleuchtet. Seit drei Jahren arbeitet seine Abteilung mit den Reiss-Engelhorn-Museen zusammen. Sein Institut verfügt über einen besonders leistungsfähigen Computertomographen. "Den setzen wir eigentlich beim Patienten ein, um Tumore vom Normalgewebe zu unterscheiden. Für die Reiss-Engelhorn-Museen steht das Exponat im Zentrum, für uns die Gesamtbetrachtung, wie wir mit neuer Technik neue Erkenntnisse bekommen."

Blick ins Innere

Wie sieht das Knochenskelett aus? Was gibt es in dem Schädelinneren zu entdecken? Nicht nur für die Archäologen ist es interessant, unter die Oberfläche zu sehen. Auch die Mediziner interessiert das, was darunter liegt. Die Experten des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin versuchen, Strukturen wie Verbände und Bandagen oder Knochen voneinander zu trennen, um zum Beispiel die Knochen unverdeckt sichtbar zu machen", erklärt Fink. Er weist auf einen Computer-Scan von einem übermodellierten Schädel aus Kolumbien, der vermutlich aus dem zwölften bis 15. Jahrhundert stammt. Über den Knochen wurde eine Tonpaste geschmiert, die von außen keinen Blick auf die Physiognomie zulässt. Das Ergebnis der CT sei eine große Überraschung gewesen, sagt er. "Wir haben einen Kinderschädel entdeckt, bei dem die Knochenstruktur durch Verbände gezielt verformt wurde, um dem Schönheitsideal von damals zu entsprechen."

Noch weitere Geheimnisse konnte die CT-Untersuchung lüften. In den Körperhöhlen einer Mumie haben die Forscher Papyrusrollen entdeckt. In einem keltischen Schädel steckte ein Nagel. Die Untersuchung half den Archäologen, einem Ritual auf die Spur zu kommen. Sie haben erfahren, dass der Nagel erst nach dem Tod in den Schädel eingebracht wurde. Man hatte ihn einst außen an einer Gehöftwand befestigt - als Zeichen des Sieges.

Autorin: Sabine Oelze

Redaktion: Gudrun Stegen