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Totensonntag – Achtung vor den Toten und Rücksichtnahme auf die Trauernden

9. November 2013

Die Weihnachtsmärkte sind noch nicht offen. Davor kommt der Tag des Gedenkens an die Menschen, die gestorben sind. Jan Schäfer spricht für die evangelische Kirche darüber, was der Totensonntag uns allen schenkt.

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ILLUSTRATION - Eine Frau sitzt am 22.10.2013 auf einem Friedhof in Berlin auf einer Bank. Foto: Franziska Koark pixel
Bild: picture-alliance/dpa

Immer wieder Abschied

Eine Kerze für jedes Menschenleben. Viele Gemeinden denken am Totensonntag mit einem Licht an die Verstorbenen des letzten Jahres. Die Angehörigen werden dazu in der Regel persönlich zum Gottesdienst eingeladen. Und das ist gut so. Denn der Totensonntag ist ein besonderer Tag. Ganz am Ende des Kirchenjahres gelegen setzt er einen Schlusspunkt. Aber nicht nur das. Er ist auch ein Brückentag. Der Totensonntag schlägt eine Brücke, er markiert den Übergang zwischen Leben und Tod.

Für die Lebenden ist er ein Tag der Erinnerung. Sie denken zurück, Bilder der Vergangenheit beleben sich wieder neu. Vergangenes wird wieder ins Bewusstsein gerufen. Die erste Begegnung, der erste Kuss, die Hochzeit, die Geburt eines Kindes und so vieles mehr. Diesen Tag der Erinnerung verbringen Menschen ganz unterschiedlich. Allein oder in Gesellschaft, zurückgezogen in der eigenen Wohnung oder bei Spaziergängen.Mitten in ihren Leben erwachsen die Gedanken und die Erinnerungen an die Menschen, die jetzt nicht mehr da sind. Auch die Umstände des Todes und Momente des Abschiedes sind oft so präsent, als wäre es erst gestern geschehen.

Das, was doch eigentlich schon vorbei ist, ist wieder ganz nah. Das Fehlen eines geliebten Menschen wird wieder schmerzvoll spürbar. Und auch das Endgültige des Todes. Das ist nicht immer leicht auszuhalten. Glauben doch viele Menschen, dass mit der Beerdigung das Abschiednehmen geschafft sei. Heute gibt es vielleicht nicht mehr so oft die Tradition, ein Jahr lang schwarz zu tragen. Aber auch ohne diese Trauerkleidung denken viele: nach einem Jahr muss es vorbei sein mit der Trauer und dem Traurig-Sein. Das Leben muss ja weitergehen - heißt es oft.

Trauer lässt sich nicht abstellen

Jeder Mensch, der schon einmal Abschied nehmen musste, weiß aus eigener Erfahrung, dass das so einfach nicht ist. Trauer und Traurig-Sein sind nicht auf Tastendruck auszuschalten wie der Fernseher am Abend. Trauer ist kein Programm, mit dem ich mich eine bestimmte Zeit beschäftige, um es dann wieder wegzudrücken. Aus – vorbei, weiter zum Nächsten. - Trauer ist ein Korb voller Gefühle, die nach einem Abschied zu einem Leben dazugehören. Gefühle, die mal stärker und mal schwächer sind. Gefühle, die mit Liebe und Zuneigung, mit Zorn und Ärger, mit Schmerz und mit Leid einhergehen, mit der ganzen Bandbreite an Empfindungen, zu denen ein Mensch fähig ist. Es sind die Gefühle, die ich einem Menschen im Leben entgegenbringe. Und, über das Leben hinaus, in den Tod. Und es sind diese Gefühl und Empfindungen, die mich erst zum Menschen machen.

Der Totensonntag nimmt Jesus ernst

„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Das sagt Jesus in der Bergpredigt. In dieser Rede spricht er über das, was ihm wichtig ist. Im Blick auf Gott, aber auch im Blick auf den Umgang der Menschen untereinander. Das betrifft auch den Umgang mit Trauernden. Auch wenn der Totensonntag als besonderer Gedenktag erst unter dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. eingeführt wurde, steht er inhaltlich ganz im Geist der Bergpredigt und nimmt das ernst, was Jesus wichtig war. Das Leid und den Schmerz der Trauernden als Teil des Lebens zu akzeptieren.

Wenn in den vergangenen Jahren die Diskussion um den Totensonntag entflammt ist, schmerzt mich das: Das Gezerre um die Öffnung der Weihnachtsmärkte, das Klagen der Einzelhändler um Umsatzeinbußen, wenn es keinen verkaufsoffenen Totensonntag gibt. Die immer wiederkehrenden Hinweise darauf, dass sich die Gesellschaft längst zu einer multireligiösen entwickelt habe. Dass das Christentum längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr sei. Das alles geht am Wesen des Totensonntags völlig vorbei.

Beim Totensonntag geht es um die Empfindungen und Gefühle von Menschen – über alle Grenzen von Glauben und von Religion hinaus. Es geht um die Achtung vor den Toten und um die Rücksichtnahme auf die Trauernden. Ich glaube, dass alles Gezerre und Gerede um den Totensonntag verstummt, wenn wir als Gesellschaft uns bewusst werden, wie sehr wir den Raum brauchen, den dieser Feiertag bietet.Im Gedenken an die Toten und in Zuwendung zu Trauenden.

Zum Autor:
Geboren 1965 in Siegen und aufgewachsen in Koblenz. Nach dem Studium in Mainz, Marburg und Bonn arbeitete er seit 1996 als Pfarrer im Taunus, in den USA und in Frankfurt/Main. Seit 2009 ist er als Pfarrer im Schuldienst an einer Berufsschule in Frankfurt/Main tätig. Jan Schäfer ist verheiratet.

Evangelischer Pfarrer Jan Schäfer, Frankfurt am Main; Copyright: privat
Evangelischer Pfarrer Jan Schäfer, Frankfurt am MainBild: privat