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Totgesagte leben länger

3. Dezember 2009

Auch 20 Jahre nach der Auflösung des Ostblocks lebt das kommunistische Erbe noch weiter. Sei es in der Kontinuität gewisser Eliten, in politischen Einstellungen oder als nicht verarbeitete Vergangenheit.

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Bild: dpa

Konferenzen, die sich aus Gleichgesinnten zusammensetzen, sind normalerweise langweilig. Nicht so die Berliner Tagung des Osteuropa-Zentrums und der Konrad-Adenauer-Stiftung: Die anwesenden Wissenschaftler waren zwar allesamt bekennende Antikommunisten. Doch es ging sehr kurzweilig zu. Das lag sicherlich an dem Thema als solchem und an den Teilnehmern, darunter der französische Professor Stéphane Courtois, Autor des kontrovers diskutierten „Schwarzbuch des Kommunismus“. Seine These lautet: Der Kommunismus hat überlebt. Sei es in den kommunistischen Parteien, die überlebt haben, oder in den Parteien, die sich nun sozialdemokratisch nennen oder auch in der alten Nomenklatura, die nach wie vor an den Schalthebeln von Staat und Gesellschaft sitzt.

Elitenwechsel nach russischem Modell

Dies treffe besonders auf Bulgarien zu, meint der in Berlin lebende bulgarische Publizist Milen Radev. Die Kommunistische Partei habe nach der Wende nur den Namen BSP in, Bulgarische Sozialistische Partei, verändert. Ihre Macht aber habe sie beibehalten: „Das ist die Besonderheit der bulgarischen Wende, dass es eigentlich keinen Elitenwechsel gegeben hat, dass es eine dirigierte Wende gegeben hat. Die Akteure der alten Regierung, deren Söhne und Töchter sind an der Macht geblieben. Sei es formell als Politiker und hohe Staatsbeamte der BSP oder informell als Wirtschaftsbosse, als Oligarchen.“ So könnte man meinen, Bulgarien habe auch nach der Wende Russland nachgeeifert, ebenso wie es auch während der kommunistischen Herrschaft der Sowjetunion nachgeeifert hat.

Sammelbecken nicht nur für Sowjetnostalgiker

In Russland finden sich die alten Eliten aus Partei, Verwaltung, Wirtschaft und Geheimdienst im Machterhaltungs-System von Wladimir Putin wieder. Das sagt die Moskauer Historikerin Galina Michalewa. Die einstige Kommunistische Partei der Sowjetunion mit 19 Millionen Mitgliedern ist heute auf 180.000 zusammengeschrumpft. Obwohl die politischen Aussagen der Partei eine krude Mischung aus Stalinismus, Nationalismus und allen möglichen sich widersprechenden Aussagen seien, werde diese Partei nicht nur von Sowjet-Nostalgikern gewählt, sondern, so Galina Michaleva, auch von Menschen, „die keine andere Opposition finden. Sie mögen Putin nicht, sie mögen seine Partei ‚Einiges Russland’ nicht und deswegen wählen sie die Kommunisten, obwohl sie mit dem Programm überhaupt nicht einverstanden sind.“

Serbien zwischen Jugo-Nostalgie und Kriegstrauma

Ebenfalls Thema der Tagung, warum es bis heute in kaum einem Land Osteuropas zu einer geschichtlichen Aufarbeitung der kommunistischen Ära gekommen ist. In Serbien liege es daran, so die Belgrader Politologin Irena Ristic, dass das jugoslawische Regime weiterhin populär ist „Es wird positiv bewertet, weil im Vergleich zum Zeitraum nach 1990 die Menschen vorher nicht nur imaginär, sondern real einen höheren Lebensstandard hatten. Sie hatten Frieden und Reisefreiheit. Das sind alles Dinge, die den Normalbürger mehr ansprechen als Demokratie oder das System, das sie heute kennen“, meint Ristic. Für die Menschen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten sei nicht der Kommunismus, sondern der Krieg nach 1990 das eigentliche Trauma.

Stockende Vergangenheitsbewältigung wegen Mittäterschaft

Stéphane Courtois sieht noch andere Gründe, weshalb in Osteuropa die geschichtliche Aufarbeitung nicht stattgefunden hat: „In totalitären Systemen, und das gilt in gewisser Weise auch für das nazistische Deutschland, ist die gesamte Bevölkerung in eine Art Mittäterschaft verwickelt.“ Er erinnert daran, dass in allen Ländern Osteuropas die kommunistischen Parteien Massenparteien waren. Zudem seien auch diejenigen, die nicht Parteimitglieder gewesen seien, angehalten gewesen, dieses System zu bejahen. „Sie mussten an den Demonstrationen zum 1. Mai, zur Oktoberrevolution etc. teilnehmen. Sie alle wurden von der Geheimpolizei aufgefordert, Berichte zu erstellen über die Aktivitäten der Verwandten, der Nachbarn der Freunde“, sagt Courtois. Deshalb würden sich heute viele schämen. Und, so Courtois, wer trage seine Scham schon gerne öffentlich zur Schau?

Autor: Panagiotis Kouparanis

Redaktion: Birgit Görtz