1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tour de Farce

Oliver Samson7. Juli 2007

Am Samstag (7.7.) begann die Tour de France. Doping-Fälle oder Verdachtsfälle begleiteten sie schon oft. Doch noch nie gab es so viele Geständnisse wie dieses Jahr. Von fairem Sport ist kaum noch die Rede.

https://p.dw.com/p/BCLg
Tour 1996: Gewinner Bjarne Riis (geständig), neben Jan Ullrich (verdächtigt) und Richard Virenque (überführt)
Tour 1996: Gewinner Bjarne Riis (geständig), neben Jan Ullrich (verdächtigt) und Richard Virenque (überführt)Bild: picture-alliance/dpa
Tor de France 2006 Gewinner Floyd Landis schwenkt in Paris die US-Flagge
Sieger mit Testosteron: LandisBild: AP

Die Kommentatoren waren sich sicher: Der größte Radsport-Skandal aller Zeiten sei nun aufgedeckt, jetzt komme das große Reinemachen. Das war im letzten Jahr vor der Tour de France, als Stars wie Jan Ullrich oder der Italiener Ivan Basso und mehr als 50 weitere Fahrer ausgeschlossen wurden, zum größten Teil wegen Kontakten zum spanischen Blutpanscher Eufemiano Fuentes. Die Tour gewann der Amerikaner Floyd Landis - wenige Tage danach wurde bei ihm körperfremdes Testosteron gefunden. Die B-Probe bestätigte den Befund.

"Gar nicht erst anreisen"

Man sollte eben vorsichtig sein mit Superlativen: Nach dem vermeintlich größten Skandal im Vorjahr fragt man sich nach der Flut der Enthüllungen vor der 94. Tour de France, wer überhaupt noch mitfahren darf, mitfahren sollte. Das Starterfeld der Tour ist vor dem Auftakt am Samstag (7.7.) in London noch unklar. Weitere Ausschlüsse wegen Dopings sind nicht auszuschließen. Über 50 für die Tour vorgesehene Fahrer haben die für die Startberechtigung notwendige Anti-Doping-Verpflichtungs-Erklärung des Weltverbandes UCI noch nicht unterzeichnet. "Wer Fahrer in seinen Reihen duldet, die unter Doping-Verdacht stehen, braucht gar nicht erst anzureisen", sagt Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme. Mit der Verpflichtungserklärung stimmen die Profis zu, bei einem positiven Doping-Befund mit einem Jahresgehalt zu haften und ihre DNA zum Abgleich mit dem Inhalt der bei Fuentes sicher gestellten Blutsbeutel zur Verfügung zu stellen.

Tour de France 2005 2. Tag David Zabriskie
Wer ist sauber?Bild: AP

Tatsächlich kann das größte Radsportereignis der Welt keine weiteren Skandale mehr gebrauchen, schon wegen der Sponsoren. "Dass die sich zurückziehen, wenn sie ein System unterstützen sollen, indem systematisch manipuliert, gefälscht und betrogen wird, ist nur normal", sagt Josef Hackforth, Professor für Sport, Medien und Kommunikation an der Technischen Universität München. So gut wie alle Topfahrer der letzten Jahre stehen unter Verdacht, mit Hilfe unerlaubter Medikamente die Tour bestritten zu haben. Mindestens 58 Fahrer waren mit der Dopingwerkstatt Fuentes im Geschäft. Topfavorit Winokurow gibt zu, mit dem gleichen Arzt zusammenzuarbeiten, der an Lance Armstrongs anrüchigen Seriensiegen beteiligt war. Die Telekom-Fahrer Dietz, Aldag und Zabel geben Doping bis zur Verjährungsgrenze zu. Topsprinter Alessandro Petacchi wurde gerade beim Giro d'Italia überführt, zehn Tage vor Tour-Start wurde auch Matthias Kessler positiv auf Testosteron getestet.

Tour de France 2007 - Route - Großbild
Die Tour 2007Bild: AP

Systematik offengelegt - gegen Geld

Klarheit über die Systematik, mit der unter Radprofis gedopt wird, lieferte auch dem letzten Zweifler Ende Juni das Interview des "Spiegels" mit Jörg Jaksche. Nach jahrelangem Schweigen und Leugnen redete der deutsche Radprofi gegen die Zusicherung einer milden Strafe - und eines ordentlichen Geldbetrags. Doping ist nach Jaksches Aussage die Regel, saubere Fahrer werden schlicht abgehängt. Besonders schwer belastete Jaksche das Team CSC und seinen Leiter Bjarne Riis - eben jenen Riiss, der 1996 die Tour gewann, im Frühjahr 2007 aber als erster Tour-Sieger gestehen musste, dabei gedopt zu haben. Teamleiter bleibt er trotzdem. Milram-Teamchef Gianluigi Stanga, durch Jaksches Bekenntnisse schon in die Ecke gedrängt, wurde am Dienstag (3.7.) durch Aussagen eines Ex-Profis weiter belastet. Er soll bei seiner Verpflichtung durch ein von Stanga geleitetes Team zu Doping genötigt worden sei.

"Mit seinem Geständnis hat Jaksche die Radsportfamilie erschüttert", schreibt "El Mundo" aus Spanien, wo die Reizschwelle beim Thema Doping gemeinhin deutlich höher als in Deutschland liegt. Auch in der italienischen "Gazzetta dello Sport" schafft es das Thema weiter nach vorne, als zumeist üblich - man wundert sich aber nicht. "Eher hätte ein Atheist an eine Marien-Erscheinung geglaubt, als dass man einem Radprofi geglaubt hätte, dass er kein Epo nimmt", schrieb die Sportzeitung über die 1990er Jahre.

Sauberer, nicht sauber

Jörg Jaschke Doping Radsport
Ausgepackt: Jörg JakscheBild: AP

Ganz so verseucht, wie vor zehn Jahren sei der Sport aber nicht mehr, sagt Jaksche in seinem Interview. Die Kontrollen seien einfach besser geworden. Teamchef Hans-Michael Holczer von Gerolsteiner erwartet eine "sauberere Tour als in der Vergangenheit, aber keine saubere". Ganz sauber, da macht sich niemand etwas vor, wird aber auch die Tour 2007 nicht sein - trotz aller Kontrollen. Zu einer grundsätzlichen Mentalitätsänderung könnte wohl nur Druck der Öffentlichkeit führen. "Wenn die Zuschauer zeigen: Uns interessiert das nicht mehr, dann müsste der Radsport intensiv handeln", sagt Hackforth. "Das ist aber eine Illusion." In der Tat: Die Königsetappe des diesjährigen Giro verfolgten in Italien beispielsweise fünf Millionen Fernsehzuschauer und Hundertausende an der Strecke - das Interesse an Helden auf Fahrrädern scheint das Thema Doping wenig anzuhaben.

Frankreich Radsport hinter den Kulissen 8
Sehnucht nach Helden: Tour-ZuschauerBild: AP

Zumindest in Deutschland soll aber kritischer berichtet werden. Die ARD, nicht nur von Hackforth scharf kritisiert wegen der Kungelei mit Jan Ullrich und dem Team Telekom, hat nun eine eigene "Doping-Redaktion" eingerichtet. "Im Prinzip ist das richtig. Mal sehen wie das aussehen wird", sagt Hackforth. Allzu kritisch wird es nicht sein dürfen: Einer repräsentativen Umfrage nach sprachen sich zwei Drittel der Befragten für eine Übertragung der Tour aus - und die Einschaltquoten sinken nach Untersuchungen sofort erheblich, wenn über Doping berichtet wird.