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Nukleares Trockentraining

9. April 2009

Was tun, wenn der Kühlturm streikt oder die Brennstäbe falsch arbeiten? Im Simulatorzentrum in Essen kann man jeden erdenklichen Störfall in einem Atomkraftwerk erleben, ohne gleich verstrahlt zu werden.

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Isar 2 im KSG Essen (Foto: KSG Essen)
Sieht echt aus - ist es aber nichtBild: Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft

Angesichts steigender Energiepreise plädieren deutsche Politiker inzwischen wieder für längere Laufzeiten von Kernkraftwerken. Energieunternehmen wie RWE oder Eon verweisen unter Klimaschutzaspekten außerdem gern darauf, dass Kernkraftwerke kein Kohlendioxid (CO2) ausstoßen. Ungeachtet diverser Störfälle im Ausland gilt den Reaktorbetreibern in Deutschland die Technologie als beherrschbar und sicher. Unter anderem auch deshalb, weil das Personal der Leitstände regelmäßig geschult und trainiert wird.

Die Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft in Essen ist die weltweit größte Einrichtung dieser Art. Hier befinden sich bis zum letzten Schalter die Original-Nachbauten der Leitstände aller 17 bundesdeutschen Atomkraftwerke im Maßstab 1:1. Die Kosten für einen solchen Simulator liegen bei rund 20 Millionen Euro. Einmal im Jahr müssen alle Mitarbeiter aus den Leitständen nach Essen zur Schulung.

"Mit allem rechnen müssen"

Im nachgebauten Leitstand des Kernkraftwerks Isar 1 (Foto: KSG Essen)
Im (nachgebauten) Leitstand des Kernkraftwerks Isar 1Bild: Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft

Hinter schallisolierten Türen ertönt in einem der Simulatoren im zweiten Stock der Dauerton einer Warnsirene. Alarm im Leitstand des Kernkraftwerks Isar I - ein von der Außenwelt abgeschirmter Kontrollraum mit den Ausmaßen eines mittleren Kinosaales. An der etwa 30 Meter langen Reaktorschalttafel blinken verschiedenfarbige Leuchtanzeigen auf. Auf einem großen Bildschirm in der Mitte der Schalttafel nähert sich eine ansteigende Säule vom gelben dem roten Bereich, der kritischen Marke des Meilers. Dennoch herrscht keine Spur von Hektik.

In geradezu aufreizender Ruhe analysiert das vierköpfige Leitstandteam Art und Ursache der Störung, um die Anlage wieder in einen sicheren Zustand zurückzuführen. Angezeigt wird dieses Mal ein Auslegungsstörfall, der so in der Realität in dem Kraftwerk Gott sei Dank noch nicht vorgekommen sei, berichtet Schulungsleiter Bert Pöthen.

"Auch in der Simulation gibt es keine Routine"

Nach knapp 30 Minuten befinden sich alle Bildschirmanzeigen wieder im grünen Bereich. Isar I fährt nach diesem simulierten Störfall wieder Volllastbetrieb. Gleichwohl räumt Werner Wech, Schichtleiter im AKW Gundremmingen ein, dass derartige Störungen den Puls beschleunigen und höchste Konzentration erfordern. Auch wenn er und sein Team dann die Checklisten routinemäßig abarbeiten - auch bei einer solchen Übung verspüre man im ersten Moment Hektik und Unsicherheit.

In Essen wird jede erdenkliche Störung trainiert - vom PUMA bis zur RESA, vom Pumpenausfall bis zur Reaktorschnellabschaltung, quer durch die Atommeiler der Republik von Norddeutschland bis nach Bayern.

Für Wech und seine Kollegen Hans Brugger und Arnold Schmid führt der Weg zur Schulung in ihrem Heimat-Leitstand Gundremmingen drei Stockwerke tiefer. Dort erwartet sie bereits Kursleiter Bert Pöthen, der sie einweist. Ziel der Übung ist ein ungestörter Volllast-Zustand. In süffisanter Manier kündigt Pöthen ein buntes Programm unter dem Motto "Lass Dich überraschen" an.

Handbuch aus 69 Aktenordnern

Im Leitstand Gundremmingen (Foto: KSG Essen)
Im Leitstand GundremmingenBild: Kraftwerks-Simulator-Gesellschaft

Im Leitstand Gundremmingen dominieren graue Farbtöne. Im Vergleich zum Kinosaal-Format von Isar 1 fällt der Leitstand kleiner aus, ebenso wie die Bildschirme an der Stirnseite. Schichtleiter Wech verteilt die Funktionen, weist Brugger den Haupt- und Schmid die Aufsicht über den Nebenleitstand zu.

Auf die angekündigte Überraschung, eine Störung im Reaktorschutz, muss das Team nicht lange warten. Wieder blinken Lämpchen auf, die Unregelmäßigkeiten signalisieren. Keine schwerwiegende Panne, wie Wech schnell erkennt, und ruhig zum meterlangen Bücherregal geht, in dem sich das sogenannte Handbuch befindet. Das besteht aus 69 prallen Aktenordnern. In dem angezeigten Fall weiß Wech, zu welchem Ordner er greifen muss und bespricht mit seinen Kollegen die Situation, bei der es um einen senkenden Füllstand im Druckbehälter geht. Es fallen Kurzkommandos, die nur erfahrene AKW-Physiker verstehen.

Reale Störfälle schulen das Gespür

Bislang haben die Reaktor-Teams, die Bert Pöthen in seinen 22 Jahren Dienstjahren im Simulatoren-Zentrum betreut hat, noch jede Störmeldung in den Griff bekommen.

Auf dem Schulungsprogramm, betont Simulator-Geschäftsführer Eberhard Hoffmann nachdrücklich, stehen natürlich nicht nur konstruierte Störungen. Wichtig sei vor allem, dass in ein solches Kursprogramm auch die tatsächlich vorgekommenen Ereignisse mit eingebaut werden. Denn je realer die Situation sei, umso größer sei der Lerneffekt. Hoffmann spricht bewusst von Ereignissen oder Situationen und nicht von Störfällen.

Nach vier Stunden ist die Übung in Gundremmingen im Untergeschoss des Essener Simulatoren-Zentrums beendet. Das Team hat die Aufgaben bewältigt. Für Geschäftsführer Hoffmann hat sich einmal mehr bestätigt, dass der Mensch die Technologie beherrscht. Dazu gehört nach Hoffmanns Überzeugung auch die Tatsache, dass das Personal bei schwerwiegenden Störungen nicht direkt eingreife, sondern nur kontrolliere, was die Automatik macht. Mit anderen Worten: Die Mitarbeiten müssten nur prüfen, ob die Anlage die Störungen wie geplant abarbeite. Das regelmäßig zu üben schaffe Sicherheit - im Fall der Fälle nicht nur im Simulator.

Autor: Klaus Deuse

Redaktion: Kay-Alexander Scholz