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Transparenz und Verantwortung

Shu Xin25. April 2003

Die Lungenkrankheit SARS sorgt in China für Panik – bei der Bevölkerung und zunehmend auch bei Partei und Regierung. Eine positive Nebenwirkung der Seuche ist die neue Transparenz in der Informationspolitik.

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SARS zwingt die Behörden zu ungewöhnlichen Maßnahmen - auch zur Pressefreiheit?Bild: AP

Der Begriff "Transparenz" war für Chinesen in der Volksrepublik bis vor ein paar Jahren noch ein Fremdwort. Die allgemeine Regel lautete: "Tue das, was von der Kommunistischen Partei angeordnet ist." Unter diesen Umständen haben sich viele Bürger immer mehr daran gewöhnt, auf selbständiges Denken zu verzichten - auch wenn sie oft Zweifel an den Verlautbarungen der Regierung beziehungsweise Partei hatten. Antworten einzufordern oder öffentlich auf Klärung zu drängen - das galt lange als unmöglich, ja gefährlich. Im Falle von SARS hat sich dies jedoch geändert.

Vor allem das Internet trägt zu mehr Transparenz bei. Trotz der strengen Internet-Zensur scheinen Chinas Behörden nicht in der Lage zu sein, alle unerwünschten Informationen zu filtern. Aus solchen Quellen speiste sich zunächst die Unruhe unter der Bevölkerung, die von der Regierung keine glaubwürdigen Informationen bekam.

Dementieren und vertuschen

Seit im vergangenen November in der südchinesischen Provinz Guandong der erste SARS-Fall entdeckt wurde, dementierte die Regierung zunächst mehr als vier Monate lang das wahre Ausmaß und die schnelle Verbreitung auch in nordchinesischen Großstädten wie Peking. Die Anzahl der infizierten Patienten wurde weitaus geringer veranschlagt als von der Weltgesundheitsorganisation WHO. China sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Wahrheit zu vertuschen und damit den notwendigen Kampf gegen die Verbreitung von SARS zu behindern.

Die internationalen Vorwürfe blieben nicht ohne Folgen: Am 20. April gab das staatliche Gesundheitsministerium überraschend eine korrigierte Anzahl der SARS-Infizierten und Todesopfer bekannt - wobei sich die Zahlen verzehnfachten. 2.500 Menschen sind nach neueren Angaben (24.4.03) bisher in China an dem Schweren Akuten Respiratorischen Syndrom (SARS) erkrankt, 110 Patienten starben.

Extreme Aufmerksamkeit der Welt

Prof. Gu Xuewu, Politologe an der Ruhr-Universität Bochum, sieht zwei Gründe für die Wende in der chinesischen Informationspolitik sieht . Zum einen die extreme Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft. "Die chinesische Regierung hatte zuvor wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass SARS solche Aufmerksamkeit hervorrufen wird und stand plötzlich unter starkem internationalen Druck", meint Gu. Zum anderen waren es die rasche Verbreitung von SARS im Inland und die Gefahr, dass die Lage völlig außer Kontrolle geraten könnte.

Ob die Lage unter Kontrolle ist, mag zweifelhaft sein, Chinas Führung will aber auf jeden Fall vermeiden, dass aus der Seuche auch noch ein Politikum wird. Bei großen innenpolitischen Problemen oder drohenden Katastrophen handelt Chinas Führung traditionell nach einer klassischen kommunistischen Maxime: Das Wichtigste ist die Aufrechterhaltung der Stabilität - bloß keine Unruhe heraufbeschwören! Nach dieser Richtlinie entscheidet die Regierung gemeinhin dann auch, ob und was die Presse berichten darf. Die Berichterstattung über SARS ist jetzt jedoch auch in Chinas kontrollierten Medien immer ausführlicher geworden. Und die Presse kann sich Freiräumen erfreuen wie nie. Professor Gu berichtet von chinesischen Journalisten, die scharfe Kritik an der Regierung üben. So etwas hätte sich früher niemand getraut - dies sei eine große Ermutigung für andere chinesische Journalisten. Ob dies aber tatsächlich ein erster Schritt zu echter, dauerhafter Pressefreiheit in China sei, müsse noch abgewartet werden.

Machtkampf hinter den Kulissen?

Unklar sind die Motive, welche zur Entlassung von Gesundheitsminister Zhang Wenkang und dem Pekinger Oberbürgermeister Meng Xuenong führten. In der Bevölkerung spekulieren viele deswegen über einen Machtkampf zwischen Anhängern des starken Mannes im Hintergrund, Ex-Präsidenten Jiang Zemin, und dessen Nachfolger Hu Jintao. Professor Gu glaubt nicht an diesen Machtkampf. Er vermutet, dass sich Chinas vierte kommunistische Führungsgeneration darum bemüht, sich international geltenden Spielregeln anzupassen. "Und das heißt: Führende Politiker, die ihren Pflichten nicht nachkommen, müssen entlassen werden. Dies soll unter anderem das Verantwortungsbewusstsein der Regierung gegenüber dem Volk unter Beweis stellen."

Personalangelegenheiten innerhalb der chinesischen Regierung werden bisher nicht auf rechtlicher Grundlage behandelt. Ernennungen und Entlassungen werden allein von der Organisationsabteilung und dem Ständigen Politbüro entschieden. Insofern seien die beiden Entlassenen Opfer des politischen Systems, aus dem sie selbst hervorgegangen seien, meint Professor Gu. Sprich: Die Entlassenen sind die Bauernopfer, mit denen die Empörung innerhalb der Bevölkerung kanalisiert werden soll. Gu denkt aber weiter: "Für die Regierung könnte dies vielleicht ein Anlass sein, einen entsprechenden Mechanismus auch grundsätzlich einzuführen - also eine Art Verantwortungssystem. Derjenige, der es versäumt, seiner Verantwortung nachzukommen, verliert seine Position." Und auch das wäre ein Lichtblick in finsteren Seuchenzeiten.