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Trauriger Abgesang

Juliane Sucker, Washington8. September 2005

Die Kulturschätze der einstigen Südstaatenperle New Orleans ertrinken in den Fluten, die architektonische, kulinarische und musikalische Vielfalt der Südstaaten-Metropole liegt danieder. Was kann noch gerettet werden?

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"Es muss möglich sein, auf die Wurzel großer Kultur zu bauen", wird der amerikanische Stararchitekt Daniel Libeskind dieser Tage in der New York Times zitiert. Die eigentliche Kulturblüte scheint der "Master planner" des World Trade Centers in New York schon abgeschrieben zu haben. Nur mehr das morsche, faulende Wurzelwerk der so einzigartigen kulturellen Vielfalt aus den Südstaaten scheint den Hurrikan "Katrina" überlebt zu haben. Die Rettungsmaßnahmen sind noch nicht abgeschlossen, verspätet laufen Hilfsmassnahmen an, schon plant Libeskind den Wiederaufbau der einstigen Perle im Mississippidelta. Und ein Konzept hat er auch parat: New Orleans solle sich den Wiederaufbau Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg zum Vorbild nehmen, hier sei "wagemutig eine neue Stadt des 21. Jahrhunderts entwickelt worden". Das zerbombte Berlin aus dem Jahr 1945 als Exempel für das in eine Senkgrube verwandelte New Orleans? Eine abstruse Vision, die dem Städtebauer hier vorschwebt.

Blühende Jazzszene im Musikbiotop

Während man über Bauplänen zur Rekonstruktion brütet, ist es um das kulturelle Erbe der nach Verfall riechenden Stadt schlecht bestellt. Das erste Kornett, Blechblasintrument der Jazzlegende Louis Armstrongs, schwimmt irgendwo in der öligen Brühe, die durch die Straßen schwappt. Es treibt zwischen Pumpen und den Booten bewaffneter Sicherheitskräfte, deren Aufgabe es derzeit ist, die außer Kontrolle geratene Lage in den Griff zu bekommen. Sie werden Armstrongs Blechblasinstrument kaum aus der Kloake fischen.

New Orleans wird oft als die Wiege des Jazz bezeichnet: Louis Armstrong und Sidney Bechet, Allen Toussaint und The Meters haben hier ihre Songs vertont. 1917 nahm die "Dixieland Jazz Band" die erste Jazz-Platte der Geschichte auf. Damit ist N’ahwlins, wie die Stadt aus einheimischem Munde genuschelt lautet, auch Geburtsstätte der improvisierten Musik des zwanzigsten Jahrhunderts, die Geburtsstätte von Rock ‘n Roll, Soul und Rap. Die Sorge ist nun groß, dass aus dem einstigen Musikmekka, dem kulturellen Unikat im Staate Louisiana nun kein Ton mehr erklingen könnte. Von den Wassermassen beschädigt sind das Jazz-Museum, das Louis-Armstrong-Haus und das Archiv des Jean-Lafitte-Museum. Spezialisten der Museumsabteilung sind in Booten unterwegs, um zu retten, was zu retten ist. Doch das dürfte nicht allzu viel sein.

Die Gegend, in der sich einst die große Jazzdynastie niederließ gleicht heute einem Mausoleum. Und auch in den amerikanischen Zeitungen wurde längst ein trauriger Abgesang auf die einstige Jazzmetropole angestimmt: "unerträglicher Kulturverlust", "unwiederbringlicher Schaden", "kulturelle Katastrophe".

New Orleans: ertrinkende Muse

Mit dem Fortschwimmen von Armstrongs Kornett, Dizzy Gillespies Trompete und Larry Shields Klarinette wird ein gutes Stück Kultur hinweggespült. Denn die auf Hochtouren laufenden Pumpen tragen nicht nur das stinkende Wasser ab, mit ihm wird auch historisches Gut abgesaugt. Und selbst wenn sich die Jazz-Szene eines Tages erholen mag, um ihr Erbe ist es schlecht bestellt, denn schon nach wenigen Stunden im Wasser bilden sich Schimmelpilze. Vieles von dem, was jetzt in der toxischen Suppe liegt, wird ganz einfach wegfaulen, hunderten historischen Gebäuden droht die Kontaminierung.

Trüber Lichtblick

Neben den vielen Hiobsbotschaften gibt es aber auch Lichtblicke. Das "New Orleans Museum of Art". Ein 100 Jahre altes Gebäude mit einer großen Sammlung europäischer und amerikanischer Malerei liegt im City Park und damit höher als der Rest der Stadt. Doch den Wassermassen knapp entgangen, droht ihm bereits die nächste Plage: Noch immer gibt es marodierende Banden. Sie könnten die Museen plündern und wertvolle Degas-Gemaelde und Faberge’-Eier in ihren Plastikmülltüten verschwinden lassen. Der französische Impressionist Edgar Degas, dessen kreolische Mutter aus New Orleans stammte, hatte 1873 bei einem sechsmonatigen Aufenthalt in New Orleans mehr als 70 Werke geschaffen. Damit die Kostbarkeiten nun nicht Kleinkriminellen zum Opfer fallen, soll ein privater Sicherheitsservice die Exponate bewachen.

Eine weitere gute Nachricht: Neben dem Kunstmuseum blieb weitgehend auch die als Jazztempel bekannte "Preservation Hall" verschont. In New Orleans ist man deshalb optimistisch, dass die Stadt wieder errichtet werden kann und erneut Touristen anlocken wird. Tausende Karnevalsbegeisterte hat der ausgelassene Trubel des "Mardi-Gras"-Festes jährlich nach New Orleans gezogen. Das macht den Wiederaufbau nicht nur zu einer kulturpolitischen, sondern auch zu einer wirtschaftlichen Herausforderung.