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Trauriger Rekord für China

Matthias von Hein 5. April 2005

China führt zwar seit Jahren die Hinrichtungsstatistiken von Amnesty International an, achselzuckend zur Tagesordnung übergehen sollte man trotzdem nicht. Matthias von Hein warnt in seinem Kommentar vor Gleichgültigkeit.

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Frankreich und Deutschland begründen ihre Bemühungen um die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China mit der im Vergleich zu 1989 angeblich verbesserten Menschenrechtslage - die Zahl der Hinrichtungen spricht dieser Einschätzung Hohn. Und auch, dass bei der zurzeit in Genf tagenden Menschenrechtskommission von den USA keine China-kritische Resolution eingebracht wurde, muss

verwundern. Wobei die USA in der Amnesty-Statistik selbst an vierter Stelle stehen - in unbehaglicher Nachbarschaft mit Staaten wie dem Iran und Vietnam.

Todesstrafe als Universalstrafe

Was die exzessive Verhängung der Todesstrafe in China zusätzlich unerträglich macht, sind die eklatanten Mängel im Justizsystem: Geständnisse von Gefangenen werden häufig durch Folter erpresst. Die Möglichkeiten der Verteidigung sind eingeschränkt. Und von einer unabhängigen Gerichtsbarkeit kann keine Rede sein. Zudem wird in

China die Todesstrafe nicht allein für Kapitalverbrechen verhängt. Sie wird für eine ganze Fülle von Delikten verhängt, die von Drogenhandel bis zu Unterschlagung und Korruption reicht.

Todesurteilen ohne Überprüfung

Vor einem Jahr nannte der Abgeordnete Chen Zhonglin bei der damaligen Tagung des Nationalen Volkskongresses öffentlich die Zahl von 10.000 Hinrichtungen pro Jahr. Er musste zwar anschließend zurückrudern und einschränken, es handele sich dabei nur um eine Schätzung. Aber Chen gab einer dringend erforderlichen Diskussion um die Todesstrafe in China Auftrieb. Bis dahin hatten sich die Reformen darauf beschränkt, Delinquenten mit der Giftspritze hinzurichten anstatt sie zu erschießen - das sei angeblich humaner. Dann aber erschienen auch in chinesischen Zeitungen Berichte über Justizirrtümer und unschuldig Hingerichtete. Schließlich wurde bei der diesjährigen Sitzung des Volkskongresses immerhin beschlossen, die Überprüfung aller Todesurteile durch den Obersten Gerichtshof vorzusehen. Diese Überprüfung ist zwar ohnehin in der Verfassung vorgesehen, war aber seit über 20 Jahren außer Kraft gesetzt. Damals wurde die erste massive Kampagne zur Verbrechensbekämpfung unter der Bezeichnung "hart zuschlagen" durchgeführt - und der Oberste Gerichtshof kam mit der Überprüfung der Todesurteile nicht mehr nach.

Umstrittene Abschreckung

Heute wie damals glaubt Chinas Führung an die angeblich

abschreckende Wirkung der Todesstrafe. Hinrichtungen werden deshalb teilweise auch öffentlich vollzogen. Die dennoch weiter anwachsende Zahl von Verbrechen sollte die Regierung aber veranlassen, stärker in soziologischen Kategorien zu denken: Noch so viele Hinrichtungen werden die Zahl der Verbrechen nicht sinken lassen, solange die Einkommensschere zwischen Arm und Reich stetig wächst.