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Nahrungsmittel Spekulation

25. November 2011

Jetzt werden skrupellose Spekulanten ins Visier genommen: Die G20-Nationen wollen Regeln durchsetzen, mit denen Preisspekulation auf Nahrungsmitteln verhindert wird. Verschwindet bald das Hungerproblem?

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Ein kleines Mädchen in Äthiopien mit Nahrungsmittel-Paket Foto: Julien Behal
Bild: picture-alliance/dpa
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf dem G20-Gipfel in Paris im Februar Foto: AP Photo/Francois Mori
Alle Hände voll zu tun: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf dem G20-Gipfel in Paris im FebruarBild: AP

Hungern musste an diesem Tag niemand. Natürlich gab es ein festliches Buffet, als der französische Präsident im Januar die Ziele für Frankreichs Präsidentschaft der Gruppe der 20 größten Wirtschaftsmächte (G20) vorstellte. Etwa 300 Diplomaten und Journalisten waren in den Gold getäfelten Prunksaal des Elysée-Palasts gekommen, um mehr über die G20-Agenda des Jahres 2011 zu erfahren. Dass aber ausgerechnet Nicolas Sarkozy, der für seinen extravaganten Lebensstil bekannt ist, sich zum Fürsprecher der Hungernden aufschwingen würde, damit hätten an diesem Tag wohl die Wenigsten gerechnet.

Sarkozy forderte Gerechtigkeit für alle jene ein, die sich stetig kletternde Nahrungsmittelpreise nicht mehr leisten könnten. Für die Preisrallye an den Rohstoffmärkten machte er vor allem Spekulanten verantwortlich. "Wenn wir dagegen nichts tun, riskieren wir Hungerrevolten in den armen Ländern und schlimme Folgen für die Weltwirtschaft", erklärte er. Noch im Laufe dieses Jahres müssten die G20-Nationen Regeln schaffen, um damit die Macht der Finanzinvestoren zu brechen. Dabei handle es sich auch um "eine moralische Frage".

Mit Nahrungsmitteln auf Hunger spekuliert

Eine moralische Frage, die immer drängender zu werden scheint. Denn die Preisspirale an den internationalen Rohstoffmärkten dreht sich. Seit dem Jahr 2000 steigen die Nahrungsmittelpreise - von nur wenigen Unterbrechungen abgesehen – kontinuierlich an. Egal ob Getreide, Fleisch, Zucker oder Milch: alle wichtigen Nahrungsmittel kosteten an den Weltmärkten im Sommer 2011 mindestens zwei Mal so viel wie zehn Jahre zuvor. Und ein Ende der Preisrallye ist nicht in Sicht.

Reisbäuerinnen in Mali bei der Ernte Foto: DW
Luxusgut Reis? Reisbäuerinnen in Mali bei der ErnteBild: DW

Auch im kommenden Jahrzehnt sollen die Preise für Getreide und Fleisch weiter steigen. Das prognostizierte ein im Juni vorgestellter gemeinsamer Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO). Als Hauptgrund für die Verteuerung von Getreide um bis zu 20 Prozent und von Fleisch um bis zu 30 Prozent sehen die OECD- und UN-Statistiker den gestiegenen Bedarf und das veränderte Konsumverhalten der Schwellenländer an.

Der Amerikaner Jim Rogers ist einer der weltweit bekanntesten Rohstoff-Spekulanten Foto: DPA
Der Amerikaner Jim Rogers ist einer der weltweit bekanntesten Rohstoff-SpekulantenBild: picture-alliance/dpa

Aber auch ihnen erscheint plausibel, was Experten der Washingtoner Denkfabrik Internationales Forschungsinstitut für Agrar- und Ernährungspolitik (IFPRI) aussprechen: Rund ein Drittel der jüngsten Anstiege bei Agrarrohstoffen führen diese auf Spekulanten zurück, die an den Börsen auf steigende Preise für Getreide, Reis oder Soja setzen. Andere Studien gehen sogar von bis zu 50 Prozent so erklärbarer Preisanstiege aus.

Die Zahl der Hungernden auf Rekordniveau

Hohe Preise – sie treiben immer mehr Menschen vor allem in Entwicklungsländern in den Hunger. Ein Verbraucher in Industriestaaten gibt im Durchschnitt weniger als 15 Prozent seiner Einkünfte für Nahrungsmittel aus. In Schwellen- und Entwicklungsländern dagegen sind bis zu 80 Prozent. So stieg die Zahl der Hungernden weltweit nach Schätzungen der FAO bis 2008 auf ein Rekordniveau von einer Milliarde Menschen an. Nach einem kurzen Rückgang liegt diese Zahl auch 2011 wieder auf diesem Niveau.

Parallel dazu herrscht bei Finanzinvestoren am Rohstoffmarkt Goldgräberstimmung. Seit dem Beginn der Finanzmarktkrise sind rund 600 Milliarden US-Dollar in die Rohstoffmärkte geflossen – 40 Mal mehr als vor zehn Jahren. Seit der US-Immobilienmarkt zusammengebrochen ist, suchen Anleger nach lukrativen Alternativen. Der Agrarrohstoff-Sektor erschien vielen als der geeignete Ersatz. Kein Wunder, dass monatlich bis zu zehn Milliarden US-Dollar spekulatives Geld in den Sektor fließen soll, schätzen die Experten der Washingtoner Denkfabrik IFPRI.

Occupy Wall Street - in New York begannen die weltweiten Proteste gegen die Macht der Finanzmärkte Foto: DAPD
Occupy Wall Street - in New York begannen die weltweiten Proteste gegen die Macht der FinanzmärkteBild: dapd

Ob es allerdings wirklich das alleinige Werk von Spekulanten ist, dass die Nahrungsmittelpreise explodieren lässt, das sei weder be- noch widerlegbar, sagt Agrarrohstoffmarkt-Beobachter Stephan Rudolph. Zum einen deshalb, weil bis dato der größte Teil der Rohstoff-Termingeschäfte (Derivate) nicht über beaufsichtigte Börsenplätze abgewickelt wird. Die meisten Geschäfte werden außerhalb der Warenterminbörsen im sogenannten Over-the-Counter-Handel (OTC) getätigt. Die Risiken, die in diesem sogenannten "Schattenbankensystem" schlummern, seien daher weitgehend unbekannt, sagt Rudolph.

"Wir gehen davon aus, dass exzessive Spekulation an den Warenterminbörsen für Unsicherheit sorgt, was deshalb nicht gut ist, weil Warenterminmärkte eigentlich eine Preissicherungsfunktion haben", sagt der Referent für ländliche Entwicklung im deutschen Landwirtschaftsministerium.

Rohstoff-Termingeschäfte sollten eigentlich Produzenten und Abnehmer gegen Preissteigerungen absichern. So wurden Terminkontrakte geschaffen, damit zwischen Produzent und Abnehmer ein Preis verabredet werden kann, zu dem eine Ware später geliefert wird. Damit schaffen diese Festlegungen Planungssicherheit, egal ob der jeweils aktuelle Preis fällt oder steigt. Nur derzeit scheint das anders.

Schwankende Preise als Katalysator für Hunger

Michael Windfuhr, stellv. Direktor Deutsches Instituts für Menschenrechte Foto: DIM Berlin
Spekulanten vertiefen Armut: Michael Windfuhr, stellv. Direktor Deutsches Instituts für MenschenrechteBild: Deutsches Institut für Menschenrechte

Die extremen Preisschwankungen stellten dieses System als Ganzes in Frage, sagt Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin. "Die Preishöchststände durch das Herdenverhalten an den Märkten sind oft 30 bis 40 Prozent höher, als sie sein müssten", erklärt der Entwicklungsexperte. "Diese Preis-Peaks führen dazu, dass viele besonders Arme auch noch ihre letzten Ersparnisse oder aber ihr letztes Land verpachten oder verkaufen müssen, also die Armut noch vertieft wird."

Eine Ansicht, die auch Frankreichs Staatspräsident auf einem Reformgipfel gegen Agrar-Spekulanten im Juni vertrat. Die Schwankungsbreite beim Preis von Reis in den vergangenen sechs Jahren sei vier Mal so groß gewesen wie in den Jahren 1990 bis 2005. "Es ist inakzeptabel, dass die Preisschwankungen zurückzuführen sind auf den Einfluss der Finanzialisierung", kritisierte Sarkozy am Rande eines G20-Treffens im Juni.

Lesen Sie weiter: Wie Spekulation eingedämmt werden könnte

Durch eine Initiative der G-20-Staaten soll jetzt mehr Transparenz in den Markt kommen. So wurde im Laufe der französischen G20-Präsidentschaft der Aufbau eines internationalen Agrarmarkt-Informationssystems (AMIS) beschlossen. "Wenn man weiß, wie viel Weizen, Mais oder Soja in den wichtigsten Ländern vorhanden ist, ist es schwerer, dagegen zu spekulieren", sagte die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zur Vorstellung der Pläne.

Im Oktober hatte die Europäische Kommission Vorschläge zu einer weitergehenden Finanzmarktregulierung nachgelegt (MiFID 2). Darin ist vorgesehen, den Handel mit Rohstoff-Terminkontrakten nur noch über "regulierte Märkte oder Plattformen" zu erlauben, nicht mehr über das Schattenbankensystem. Händler an Warenterminbörsen sollen in Zukunft Berichtspflichten bekommen, ebenso sollen Aufsichtsbehörden die Zahl der von einem Marktteilnehmer gehaltenen Termingeschäfte begrenzen können.

Weniger Computerhandel - weniger Hunger?

Heinrich Haasis, Präsident des deutschen Sparkassen- und Giro-Verbandes
Investment-Banking zähmen: Heinrich Haasis, Präsident des deutschen Sparkassen-VerbandesBild: AP

Vielen gehen solche Vorschläge nicht weit genug. Peer Steinbrück, Ex-Finanzminister Deutschlands und möglicher Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, fordert ein Verbot aller Warentermingeschäfte zwischen Finanzinstituten, die keinerlei Bezug zu konkreten Warenverkäufen haben. Andere fordern, den Computer-gesteuerten Hochfrequenzhandel an Warenterminbörsen einzuschränken. So könnte der durch Spekulanten angerichtete Schaden verkleinert werden, sagt Heinrich Haasis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV). Schließlich gelte auch in Flugzeugen in Notsituationen die Regel: Autopilot aus. "Bei diesem automatisierten Handel kann man bislang keinen Autopilot ausschalten, sondern der geht dann genauso weiter."

Umstritten bleibt der Vorschlag, die Spekulationswut durch die Einführung einer weltweiten Finanztransaktionssteuer einzudämmen. "Wir haben uns im Prinzip dafür ausgesprochen", sagt Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis. Preisausreißer nach oben könnten durch eine Besteuerung des einzelnen Transaktionsvorganges wirksam nach unten korrigiert werden, lautet seine Begründung. Wirtschaftsforscher Michael Hüther dagegen bezweifelt, dass eine solche Steuer das Grundproblem löst. Eine Transaktionssteuer sei "lediglich ein bisschen Sand im Getriebe" der Spekulanten, kritisiert Hüther. Letztlich führe die Besteuerung des Finanzmarktes nur dazu, dass "am Ende wieder alles die Kunden zahlen".

Der Kampf gegen den Hunger ist auch nach einem Jahr französischer G20-Präsidentschaft längst nicht gewonnen. Daran hat auch Nicolas Sarkozys vollmundige Ankündigung nichts geändert. Auf dem G20-Gipfel im französischen Cannes im November spielten die Nöte der Hungernden ohnehin schon wieder eine untergeordnete Rolle. Mit aller Macht stemmte sich Europa dort gegen die Euro-Schuldenkrise. Fragen von Moral und Ethik wurden - wenn überhaupt – nur am Rande behandelt.

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Klaus Ulrich