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"Afrika lässt sich instrumentalisieren"

Rodion Ebbighausen6. Mai 2014

Schriftsteller Ilija Trojanow beklagt Afrikas fehlende kulturelle Identität. Der Kontinent sei weit entfernt von einer Renaissance, wie Asien sie erlebt. Europa wirft er im DW-Gespräch Heuchelei gegenüber Afrika vor.

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Autor Ilija Trojanow
Bild: picture-alliance/dpa

DW: In westlichen Medien ist viel vom Aufstieg Asiens die Rede, auch von Lateinamerika, während Afrika nach wie vor oft stigmatisiert wird als Kontinent der Armut. Warum kann Afrika dieses Image nicht abstreifen?

Ilija Trojanow: Afrika hatte ja völlig andere Ausgangsbedingungen als Asien. In Asien haben wir es zu tun mit großen alten Reichen, mit Traditionen, die teilweise tausende Jahre zurückgehen, auch mit schriftlichen Traditionen, mit einer staatlichen Kohärenz und mit eigenen imperialen Antrieben. Insofern geht es bei Asien im Vergleich zu Afrika um einen Wiederaufstieg, um einen Aufstieg zu einstiger Größe.

In Afrika hingegen haben wir eine weitgefächerte Mischung sozialer und politischer Formen: von Gesellschaften, die überhaupt nicht staatlich organisiert waren, über nomadische Gesellschaften bis hin zu lose strukturierten Föderationen und auch Reichen, sei es Benin oder das Songhai-Reich in Mali oder das äthiopische Reich. Diese Heterogenität hat dazu beigetragen, dass Afrika stärker von der Kolonialisierung geprägt wurde und dass sich eigene Strukturen in vielen Ländern bis heute nicht herausgebildet haben. Das beste Beispiel ist die Demokratische Republik Kongo, die in den letzten Jahren völlig zerfallen ist.

Beide Kontinente - Asien und Afrika - haben die Kolonialisierung erlebt. Für Afrika war es allerdings ein viel tieferer Einschnitt. Wie kann Afrika sich emanzipieren und sich neu erfinden?

Ein Beispiel ist das sogenannte Land Grabbing. Afrikanische Staaten verkaufen fruchtbares Land an überwiegend asiatische Investoren. Die produzieren dann Nahrungsmitteln für den Export in Länder, in denen Hunger herrscht - wie etwa in Äthiopien. Daran merkt man, dass afrikanische Staaten keine Selbstermächtigungspolitik wie die asiatischen Länder verfolgen, sondern sich bereitwillig von fremden Interessen instrumentalisieren lassen.

Würden Sie von einer Kolonialisierung Afrikas durch Asien sprechen?

Die asiatischen Staaten beobachten, wie sich westliche Wirtschaftsinteressen seit Jahrzehnten in Afrika frei bedienen können. Dann ist es selbstverständlich, dass sie sagen: "Da machen wir mit." Es wird zwar moniert, dass sich China groß in Afrika einschaltet, aber was erwartet man? Warum sollen die Chinesen nicht versuchen, auch mitzumischen, wo amerikanische und westeuropäische Konzerne seit Jahrzehnten mitmischen?

Sehen Sie denn im kulturellen Bereich Ansätze oder Personen in Afrika, die eine Emanzipierung leisten könnten, wie das auch im asiatischen Raum passiert?

Das Besondere am asiatischen Modell ist, dass viele Intellektuelle mit einem großen Selbstbewusstsein Momente der eigenen Traditionen wiederbeleben und sich am Instrumentarium westlichen Denkens und Handelns bedienen. Diese Kombination erlaubt es, konkurrenzfähig zu sein und eine eigene Identität zu entwickeln. Das fehlt bei den afrikanischen Eliten fast völlig. Sie sind im Geiste viel mehr kolonialisiert. Und zweitens gibt es einen viel größeren sogenannten Brain Drain. Das heißt, extrem viele der führenden afrikanischen Intellektuellen sind in den USA, Kanada und Europa.

Das einzige Land, das eine solche afrikanische kulturelle Identität vorantreibt, ist Südafika - etwa mit dem panafrikansichen Ansatz des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki. Südafrika hat eines der großen Zentren afrikanischer Intellektualität enorm unterstützt: Timbuktu mit seinem Reichtum an fast 1000 Jahre alten Manuskripten. Dort hat Südafrika eine moderne, für wissenschaftliche Arbeit ausgerüstete Bibliothek gebaut.

Aber insgesamt fällt Ihre Prognose für eine afrikanische Emanzipation pessimistisch aus?

Es gibt kleine Hoffnungsschimmer - Anhaltspunkte einer auch afrikanischen Renaissance, die sich aus einem gewissen technologischem Fortschritt nährt. Ein Beispiel ist der Mobilfunk. Weil die Infrastruktur in afrikanischen Ländern so unglaublich schlecht war, hat sich das Handy dort so schnell durchgesetzt wie sonst nirgendwo auf der Welt. Das hat den Kleinhandel revolutioniert und hat vielen Menschen wirtschaftliche Flexibilität ermöglicht. Nach Kenia, wo ich aufgewachsen bin, kehren wieder mehr Leute zurück, zum Beispiel Schulkameraden von mir, die in England oder den USA waren. Aber alles in allem würde ich sagen, dass Afrika weit von einem Erfolg wie dem der großen asiatischen Staaten entfernt ist.

Sehen Sie Europa als Förderer oder als Hemmnis auf Afrikas Weg zur Emanzipierung?

Europa hat seit jeher auch im Verhältnis zu Afrika eine Politik der Heuchelei betrieben. Es hat einerseits rhetorisch für eine Ermächtigung Afrikas plädiert, andererseits in seiner Wirtschaftspolitik sehr wenig dafür getan. Das beste Beispiel ist Somalia. Vor der Küste findet ein enormer Militäreinsatz gegen die Piraterie statt. Die Schweinereien, die Europa mit verursacht hat, werden kaum diskutiert. Ebenso die Tatsache, dass wir die Meere vor der somalischen Küste leergefischt haben, dass Somalia viele Jahre für die Verklappung von Giftmüll missbraucht wurde mit schrecklichen gesundheitlichen Folgen für die Menschen in Somaliland. Der Westen scheint immer wieder zu übersehen, dass gewalttätige Reaktionen oft die Folge dessen sind, dass wir Menschen und Gesellschaften keine andere Chance geben. Dieser universalistische Anspruch, der eigentlich Teil der europäischen Aufklärung war, der wird von unserer Außen- und Wirtschaftspolitik immer noch viel zu selten in die Tat umgesetzt.

Ilija Trojanow ist deutscher Schriftsteller, Verleger und Übersetzer bulgarischer Abstammung.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen