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Trost per Chat und E-Mail

21. Februar 2005

Seelsorge im Internet wird immer wichtiger: Viele Menschen, die nie einen Pfarrer direkt ansprechen würden, nutzen die Online-Angebote der evangelischen und katholischen Kirchen. Anonym, versteht sich.

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Gottverlassen?!Bild: AP


"Das Schreiben ist schwieriger als das Telefonieren", sagt Krischan Johannsen vom Team Internet-Seelsorge der Badischen Landeskirche in Stuttgart. Seit zwei Jahren betreut der 49-jährige Religionspädagoge Hilfesuchende im Netz. Johannsen ist stellvertretender Leiter des sechsköpfigen Internet-Teams, das von der Stuttgarter Telefonseelsorge vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurde.

Die Nachfrage nach Beratung und Seelsorge am Computer nimmt ständig zu – was Johannsen aus eigener Erfahrung und auf Grund interner Statistiken bestätigen kann. Das Team in Stuttgart berät im Durchschnitt 70 Ratsuchende gleichzeitig. Manchmal sei das Problem mit einer Mail erledigt, in anderen Fällen seien 30 Mails nötig, erzählt Johannsen. Er beteiligt sich manchmal auch an Chats, also "Internet-Gesprächen".

Mit dem Pfarrer chatten

Auch die evangelischen Landeskirchen im Rheinland und Hannover bieten seit 2004 Internet-Seelsorge und Chats an. 39 Theologen machen mit. Bis zu vier Frauen und Männer sind montags, mittwochs und sonntags von 20 bis 22 Uhr unter www.chatseelsorge.de zu erreichen. Der Service wird inzwischen von Menschen jeden Alters genutzt.

Unter den jeweils 25 bis 35 Chat-Besuchern an drei Abenden in der Woche seien Frauen und Männer zwischen 16 und 70 Jahren, sagt Projektbetreuer Diemo Roller. Diskutiert werden vor allem Themen wie Einsamkeit, Partnerschaft, Beruf oder Glauben. Es besteht auch die Möglichkeit, sich mit einem Seelsorger in einen eigenen virtuellen "Raum" zurückzuziehen. Die Erfahrung zeigt, dass das Angebot eines anonymen Online-Gesprächs gut angenommen wird.

Einziger – oder letzter – Ausweg

Zu den häufigen Themen der Online-Seelsorge zählen sexuelle Gewalt, Beziehungskrisen sowie Probleme am Arbeitsplatz. Die meisten Menschen, die sich an die Internet-Seelsorge wenden, sind "eher jung" - zwischen 15 und 25 Jahren. Und über's Internet erreicht die Seelsorge auch Menschen, ansonsten eher kirchenfern sind – oder sich sonst nirgends hinwagen würden.

"Vielen, die uns schreiben, geht es so schlecht oder sie haben so große Angst vor jeder Form der Öffentlichkeit, dass sie nicht einmal die Telefonseelsorge anrufen würden", erläutert Johannsen. Als ein Beispiel nennt er das Mädchen, das sexuelle Gewalt in der Familie erlebt hat. "Sie kann es nicht aussprechen, aber hinschreiben." Die Stuttgarter Internet-Seelsorger garantieren nicht nur, dass jede E-Mail innerhalb von 24 Stunden beantwortet wird, sondern auch, dass sie völlig anonym bleibt. Die Berater können die E-Mail-Adresse des Absenders nicht sehen oder zurückverfolgen.

Ökumenisches Angebot

Die Angebote der Online-Seelsorge und Beratung sind inzwischen unüberschaubar: Gibt man bei Google das Stichwort "Internet-Seelsorge" ein, erhält man mehr als 24.000 Treffer. Katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen sowie kirchliche Beratungsstellen und die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie haben in den vergangenen zehn Jahren Online-Beratungsangebote aufgebaut. Inzwischen kann man vielfach auch per SMS seine Sorgen kundtun. (arn)