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Afghanistan Bundesregierung

15. Dezember 2011

Im deutschen Bundestag zeichnet sich eine breite Mehrheit für die Regierungspläne ab, die Bundeswehr bis 2014 weitestgehend aus Afghanistan abzuziehen. Dies darf aber nicht kopflos erfolgen, meint Daniel Scheschkewitz.

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Die internationale Staatengemeinschaft hat sich entschieden. Bis Ende 2014 sollen alle internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen werden. Dem Land wird stufenweise die Verantwortung für seine eigene Sicherheit übertragen. Doch dies darf kein kopfloser Abzug, kein überhastetes Zurückweichen werden, wenn aus dem notorischen Krisenherd der letzen Jahrzehnte eines Tages doch noch ein einigermaßen stabiler souveräner Staat werden soll.

Flexibles Mandat weist in die Zukunft

DW-Redakteur Daniel Scheschkewitz
DW-Redakteur Daniel ScheschkewitzBild: DW

Der Bundestag wird seiner Verantwortung gerecht werden und das Mandat für den deutschen Bundeswehreinsatz aller Voraussicht nach am 26. Januar noch einmal um 12 Monate verlängern. Dies wurde schon bei der Ersten Lesung deutlich. Die Mandatsobergrenze, also die Zahl der maximal nach Afghanistan zu entsendenden Truppen, wird nur geringfügig um vierhundert Soldaten verringert. In Wirklichkeit werden zunächst sogar noch weniger Soldaten das Einsatzgebiet verlassen. Deutschland trägt also auch weiterhin seinen Teil dazu bei, damit der Übergangsprozess, der durchaus vielversprechend begonnen hat, weiterhin in geordneten Bahnen verlaufen kann.

Besonders lobenswert ist die flexible Ausgestaltung des Mandats: Sowohl die für die Aufklärung notwendigen AWACS-Flugzeuge als auch die Tornados der Bundeswehr können, müssen aber nicht vor Ort bleiben.

Viele Unwägbarkeiten bleiben

Vieles wird davon abhängig zu machen sein, wie sich die Sicherheitslage in den nächsten Monaten weiter entwickelt und welchen Grad von Stabilität die 150.000 afghanischen Sicherheitskräfte vorfinden werden, die bis zum Oktober des nächsten Jahres zur Verfügung stehen sollen. Bei aller Kontinuität, ist dennoch eines klar: Der Afghanistaneinsatz wird in den kommenden Monaten ein zivileres Gesicht bekommen. Schon in diesen Tagen ist das PRT, das zivil-militärische Wiederaufbauteam in Feisabad, einem rein zivilen Kommando des Auswärtigen Amtes unterstellt worden.

Bis Ende 2014 sollen nach dem erklärten Willen der NATO die Kampftruppen abgezogen werden. Ob sich die verbleibenden Soldaten dann, wie geplant, wirklich schon auf reine Schutzfunktionen und die weitere Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte beschränken werden können, erscheint gegenwärtig noch höchst zweifelhaft.

Taliban boykottieren Verhandlungen

Das Kalkül der Amerikaner, mit einer massiven Erhöhung ihrer Einsatzkräfte im zurückliegenden Jahr die Taliban an den Verhandlungstisch zu zwingen, ist bisher nicht aufgegangen. Die Unruheprovinzen im Westen an der Grenze zu Pakistan bleiben ein neuralgisches Sicherheitsrisiko. Der vermeintliche Verbündete Pakistan hat sich nicht erst seit seinem Rückzug von der Bonner Sicherheitskonferenz zu einem unkalkulierbaren Risikofaktor für eine künftige Friedenslösung in Afghanistan entwickelt. Mit anderen Worten, der Krieg droht sich von Afghanistan nach Pakistan zu verlagern.

Damit nicht genug: Bieten die inzwischen ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte auch dann die Gewähr, ihren Auftrag loyal und kompetent auszuführen, wenn die Aufständischen mit einem höheren Sold locken? Wie gut ist die Ausbildung der Polizisten und wie anfällig werden sie für Korruption sein, in einem Land, wo bis in die höchsten Spitzen der Regierung die Netzwerke der Korruption ihre Wirkungskraft entfalten?

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich nach dem jetzt vorliegenden Bericht der Bundesregierung gebessert. Aber diese Trendwende ist beileibe nicht unumkehrbar und hat auch damit zu tun, dass die Aufständischen ihre Strategie verändert haben: Anstatt die internationalen Militärs verlustreich zu bekämpfen, haben sie vieler Orten mit Anschlägen vor allem unter Zivilisten Blutbäder angerichtet. Der angestrebte Aussöhnungsprozess mit den Taliban ist noch kaum in Gang gekommen. Deshalb muss das jetzt entwickelte Abzugsszenario flexibel bleiben und von belastbaren finanziellen Zusagen für den zivilen Wiederaufbau begleitet werden.

Nach zehn Jahren des internationalen Afghanistaneinsatzes gilt es, das bisher Erreichte für die Zukunft zu sichern. Bundesaußenminister Westerwelle hat es in seiner Regierungserklärung so formuliert: "Nichts ist einfach in Afghanistan, Vieles ist noch nicht so, wie es sein sollte und Vieles wird schwierig bleiben." Dem kann man nur hinzufügen: Ein überhasteter Truppenrückzug könnte alles bisher Erreichte zunichte machen.

Autor: Daniel Scheschkewitz

Redaktion: Matthias von Hein