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Tschechien auf dem Weg nach Europa

10. Februar 2004

- Niederlassungs- und Beschäftigungsfreiheit bleibt noch lange ein Traum

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Bonn, 10.2.2004, DW-RADIO, Petra Kohnen

Zu den vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes gehört an erster Stelle der "freie Personenverkehr". Reisefreiheit von Lissabon über Prag nach Tallinn bleibt aber auch nach der Osterweiterung im Mai diesen Jahres nur ein Wunsch. Denn an den meisten Grenzen wird weiterhin kontrolliert. Auch die vollständige Niederlassungs- und Beschäftigungsfreiheit bleibt noch lange ein Traum im Euroraum. Der Grund: Zahlreiche alte und neue EU-Länder versperren den Zugang zum Arbeitsmarkt durch "Übergangsfristen". Gerald Schubert von Radio Prag International und Petra Kohnen von der DW haben sich auf dem tschechischen Arbeitsmarkt umgesehen.

Die Arbeitslosenzahlen in der Tschechischen Republik steigen. Entsprechend voll ist es in den Arbeitsämtern, denn sie sind die ersten Anlaufstellen. Berge von Formularen müssen ausgefüllt, Unterlagen zusammengestellt und eingereicht werden. Das gilt auch für ausländische Arbeitssuchende mit dem Unterschied, dass die bürokratischen Hürden um ein Vielfaches höher sind:

"Ja, bitte. Sie sprechen mit dem Arbeitsamt. Haben Sie schon die entsprechenden Formulare ausgefüllt? Und hier bei uns abgegeben? Nein, dann müssen sie das zuerst machen und bei uns abgeben. Nein, nein, nein - das wird nicht in einer Woche erledigt, sondern in vier. Auf Wiedersehen."

Daniel Satra will es nicht glauben: Vier Wochen und wahrscheinlich länger werden seine Unterlagen geprüft. Da stehen die Tschechen kurz vor der Aufnahme in die Europäische Union und von Niederlassungs- und Beschäftigungsfreiheit keine Spur. Der junge EU-Bürger will in Prag arbeiten. Er hat bei Radio Prag einen Job gefunden. Und nun benötigt er neben seiner Aufenthaltsgenehmigung auch noch eine Arbeitserlaubnis, vor allem aber viel Zeit und Geduld:

"Ich brauche erst einmal die Formulare für das Arbeitsamt. Wenn ich die habe, das ist der erste Schritt, dann kommen lauter kleine weitere Schritte. Ich brauche zum Beispiel einen Auszug aus dem tschechischen Strafregister, ich brauche ein polizeiliches Führungszeugnis der Bundesrepublik Deutschland. Dann brauche ich einen Mietvertrag und dann zu allem Überfluss muss ich auch noch von Tschechien hier aus Prag nach Berlin fahren, um das bei der tschechischen Botschaft tatsächlich beantragen zu können."

Chancen auf dem tschechischen Arbeitsmarkt hat nahezu jeder Ausländer, heißt es. Vorausgesetzt der Arbeitgeber weist nach, dass er keine inländische Arbeitskraft finden kann, erklärt der Direktor der Abteilung für Migration und Ausländerintegration am tschechischen Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten, Michal Meduna:

"Unser System, das jetzt für die Beschäftigung von Ausländern gilt, basiert auf der Ausstellung von Arbeitsgenehmigungen. Das heißt, das örtliche Arbeitsamt muss nachweisen können, dass eine Stelle längere Zeit nicht mit einem Tschechen besetzt werden konnte. In diesem Fall besteht dann natürlich die Möglichkeit, einen Ausländer einzustellen."

Stichtag 1. Mai. Der Tag der EU-Erweiterung. Wird er den Zugang zum tschechischen Arbeitsmarkt erleichtern? Nicht unbedingt, denn Arbeitsminister Zdenek Skromach (will erst einmal abwarten:

"Die Tschechische Republik wird nicht im Vorfeld die Möglichkeit ausschließen, eine Übergangsfrist auf der Grundlage der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Tschechischen Republik einzuführen. Und dies sowohl gegenüber EU-Staaten als auch gegenüber den neuen Beitrittsländern. Selbstverständlich wollen wir dieses Mittel nicht als irgendeine Form der Sanktion gegen diejenigen einsetzen, die auch eine Übergangsfrist einführen werden, aber es wird davon abhängen, wie sich diese Sache nach dem Beitritt Tschechiens zur EU entwickeln wird."

Der Minister ist sich aber ziemlich sicher, dass Westeuropäer den tschechischen Arbeitsmarkt nicht bedrohen werden. Aus den alten EU-Ländern kommen ohnehin nur Spezialisten, die in Tschechien nicht zu finden sind. Prag wirbt seit langem um Investitionen. Viele westeuropäische Firmen öffnen Niederlassungen und bringen ihre Leute mit. Die Folgen dieser Entwicklung sind derzeit schwer

einzuschätzen, meint Milada Horakova vom Forschungsinstitut für Arbeit und Soziales:

"Der Raum, in dem wir uns befinden werden, dieser Raum öffnet sich. Und so lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Immigration insgesamt erhöhen wird, und zwar auch aus den bisherigen EU-Mitgliedsstaaten. Obwohl es bei uns, was die Löhne betrifft, weit weniger attraktive Arbeitsmöglichkeiten als in der Europäischen Union gibt. Aber wir müssen uns dessen bewusst sein, dass ausländische Firmen hier her kommen und auch ihre Arbeitnehmer mitbringen."

Tschechen können natürlich auch Firmen im EU-Raum gründen oder sich eine Arbeit suchen. Einige EU-Länder, wie zum Beispiel Irland öffnen ihre Arbeitsmärkte ohne Einschränkung. Andere, wie die Nachbarländer Österreich und Deutschland bestehen auf Übergangsfristen, erläutert die Ausländerbeauftragte des Landes Niedersachsen, Gabriele Erpenbeck:

"Tschechische Arbeitnehmer werden in den nächsten sieben Jahren nach dem Beitritt weiterhin als Saisonarbeitnehmer arbeiten können, wie das jetzt schon der Fall ist. Und es könnte sein, dass noch in einigen Ausnahmebereichen Möglichkeiten bestehen - jedenfalls in Deutschland. Das sind aber ziemlich eng begrenzte Ausnahmen von dem Anwerbestop, den wir im Augenblick haben. Aber: Sie können im Bereich der Dienstleistungen, wenn sie sich selbstständig machen, im Transportgewerbe, im Gaststättengewerbe, also überall da, wo Dienstleistungen erbracht werden, nach Deutschland kommen und als Selbstständige mit einem kleinen Unternehmen auftreten." (fp)