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"Tschechien wird zum Schrottplatz Europas"

26. Februar 2002

- Parlament senkt die Altersgrenze für importierte Autos wieder auf acht Jahre

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Prag, 24.2.20002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Günter Gensicke

Tschechiens Parlament hat beschlossen, die Altersgrenze für importierte Autos wieder auf acht Jahre abzusenken. Tschechische Autobesitzer freuen sich: Die traditionell begnadeten Bastler können beinahe jede Schrottlaube beliebig lange am Laufen halten. Der Umwelt wird das weniger bekommen; Verkehrsminister Jaroslav Schling warnt: "Tschechien wird zum Schrottplatz Europas".

Der Eindruck, den man am letzten Mittwoch (20.2.) bei der Abstimmung im Parlament gewinnen sollte, war: Da sind drei Parteien - die ODS (Demokratische Bürgerpartei- MD), die KDU-ČSL (Christdemokratische Volksunion- MD) und die US (Freiheitsunion – MD)- die haben ein Herz für den kleinen Mann. Denn sie haben Schluss gemacht mit der dürren Zeit, wo er auf dem Basar an der Ecke nur zwischen höchstens fünf Jahre alten Importwagen auswählen konnte. Jetzt, oder richtiger - dann, wenn Senat und Präsident zustimmen - kann er endlich wieder aus dem vollen schöpfen: Acht Jahre seit der Erstzulassung dürfen die Import-Kisten an der Ecke dann auf dem rissigen Lack haben.

Irgendwie hat irgendwer den Eindruck aufgebaut, es herrsche Notstand auf dem tschechischen Automarkt. Nicht nur, dass man nicht kaufen könne, was man kaufen möchte - einen Wagen in Bestzustand, kaum gefahren, für umgerechnet 3000 Euro zum Beispiel - die Regierung mache auch noch jene kaputt, die gerne derartige Fahrgeräte in Hülle und glänzender Fülle anbieten würden. Zehntausende Arbeitsplätze gingen verloren, wenn die Importbeschränkung auf maximal fünf Jahre alte Autos nicht umgehend aufgehoben würde, hatte die Lobby der Importeure und Händler im Herbst behauptet.

Dem war nicht so, bei weitem nicht; die Geschäfte florieren. Während noch in 2000 rund 82 000 Gebrauchtwagen importiert worden sind, waren es im Folgejahr, in dem doch eigentlich alles zusammenbrechen sollte, etwa 99 000 Stück, also gute 20 Prozent mehr. Damit wurde die Einfuhr von Neufahrzeugen weit übertroffen, und gäbe es nicht Škoda Auto in Mladá Boleslav und den Fabia, dann hätten die Altwarenhändler auch beim Verkauf deutlich die Nase vorn.

Endlich könnten die Verkäufer wieder freier atmen, meint Jan Slawisch, Chef des Verbands der Kleinimporteure. Der sich ausgesprochen zufrieden zeigt angesichts des Tempos, mit dem die erst im Juli verkündete Fünfjahres-Klausel wieder aufgehoben wurde. Das mit dem Atmen, vor allem dem freien, sollte er aber im Interesse der eigenen Gesundheit nicht so ganz wörtlich nehmen, warnen die Umweltschützer. Denn die 3,5 Millionen Autos, die Tschechien-weit polizeilich gemeldet sind, haben das beunruhigende Durchschnittsalter von knapp 14 Jahren, Tendenz leicht steigend. Dazu gehören rund 350 000 sozialistische Alt-Škoda des Typs 105 und 120, die mehrheitlich so um die 20 Jahre auf dem Buckel haben und rund 70 000 Zweitakter aus den DDR-Autoschmieden Zwickau und Eisenach.

Zwar berufen sich die Jasager im Parlament darauf, dass nur die Wagen zugelassen werden dürfen, welche die Euro-Abgasnorm II erfüllen, doch tun sie auch das wider besseres Wissen. Denn schon nach der nächsten Wintersaison dürften die meisten der Altkatalysatoren und Auspuffanlagen im Ansturm von Lauge und Streumitteln auseinanderfallen. Und dann setzt genau das ein, was die Uralt-Autos noch am Leben hält: Die Improvisationslust der tschechischen Autofreaks. Sie friemeln (sic) das Auto hin, so gut und so lange es geht, und das letzte, was sie dabei interessiert, ist die Euronorm - sie wollen für wenig Geld ein Fahrzeug, das irgendwie fährt.

Zu befürchten steht zudem, was Verkehrsminister Schling prophetisch verkündet: Wenn ab Jahresmitte EU-weit die Rücknahmepflicht der Hersteller für Altautos einsetzt, wird es statt ordnungsgemäßer Entsorgung in den EU-Ländern weitaus günstiger sein, die alten Kisten gewinnbringend Richtung Osten zu verkaufen. "Tschechien", warnt Schling, "wird zum Schrottplatz Europas." (fp)