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Tschechiens Dilemma: Umweltschutz bei leeren Kassen

29. August 2002

– Für die Sanierung von Altlasten werden über zwei Milliarden Euro benötigt

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Prag, 28.8.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Ewald Trojansky

Die Beinahe-Katastrophe beim tschechischen Chemiewerk Spolana hat gezeigt: Die ökologischen Sünden der Vergangenheit sind zwar vergessen und aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Doch die schlummernden Altlasten können immer noch Katastrophen herbeiführen. Die Regierung Spidla ist guten Willens, doch dies wird angesichts leerer Kassen nicht reichen.

Die Jahrhundertflut hat vieles hochgespült, was scheinbar für immer im Schlamm von Moldau und Elbe versunken schien: Schwermetalle, darunter auch beträchtliche Konzentrationen an Quecksilber wurden von der reißenden Strömung aufgewirbelt und zogen flussabwärts, Richtung Deutschland.

Auch bei Tschechiens schmutzigstem Chemiewerk legte sie gnadenlos Schwächen bloß - die Gebäude, in denen Dioxin lagerte, die Böden, die 250 Kilogramm Quecksilber enthalten, sie wurden überflutet. Dreimal trat hochgiftiges Chlor an die Luft. Spolana ist beileibe kein Einzelfall, in Tschechien gibt es genügend Altlasten: Da sind, um den mildesten Fall zuerst zu nennen, vom Tagebau zerstörte Landschaften, die rekultiviert werden müssten. Da ist die Fabrik Synthesia in Pardubice, ebenfalls überschwemmt, die in 40 Jahren soviel Abfall angehäuft hat, dass dieser nun das Grundwasser bedroht. Da sind die Überreste aus dem Uranbergbau. Und da sind die ehemaligen Standorte der Sowjetarmee, durch die Besatzer oft genug gründlich verschmutzt.

Der Leser, durch tägliche Katastrophenmeldungen bis zur gelangweilten Gleichgültigkeit abgehärtet, mag sich fragen, wo das Positive bleibt. Also bitte sehr: Tschechien hat in den letzten zehn Jahren viel für die Umwelt getan. Anfang der 90er Jahre wurde in deutschen Reiseführern noch vor der Luftverschmutzung in Nordböhmen gewarnt, heute merkt man in Teplice nichts mehr davon. Man hat neue Kläranlagen gebaut, in der Elbe wurden mittlerweile die ersten Biber gesichtet.

Im Fall Spolana setzte die neue Regierung Spidla Signale: Die Direktion des Staatsunternehmens wurde abberufen, Minister erklärten, sie habe endgültig das Vertrauen verspielt. Inzwischen ermittelt die Polizei wegen Gefährdung der Öffentlichkeit. Das unterscheidet sich auf den ersten Blick wohltuend von dem Verhalten des alten Kabinetts Zeman, das in vielen Fällen geprägt war von der Kumpanei älterer Herren, die sich noch aus sozialistischen Tagen kannten - um es nett zu sagen.

Alles zu sanieren kostet aber Geld - nach amtlichen tschechischen Schätzungen weit über zwei Milliarden Euro. Und Geld fehlt nach der Katastrophe mehr denn je. Ein Teil der Erlöse aus der Privatisierung sollte zur Rekultivierung zerstörter Landschaften verwendet werden, nun müssen die Erlöse aus dem Verkauf von Staatsfirmen den Hochwasser-Opfern zugute kommen.

Einem nackten Tschechen kann man schlecht in die Taschen greifen. Umweltschutz ist eine grenzüberschreitende, eine europäische Aufgabe, mit der ein Land wie Tschechien nicht allein gelassen werden darf.

In Deutschland und Österreich herrschen sicher andere Vorstellungen von einer konsequenten Umsetzung ökologischer Standards, als in den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Vieles wird in den Reformstaaten klaglos hingenommen, was gerade bei den deutschsprachigen Nachbarn für Aufregung sorgen würde.

Bestes Beispiel ist das Verhältnis der Tschechen zum umstrittenen Atomkraftwerk Temelin. Während die Österreicher schon lange ganz auf Kernkraft verzichtet haben und in Deutschland mit den Grünen ein Teil der Anti-Atom-Bewegung mittlerweile zum politischen Establishment gehört, kann sich eine ökologisch orientierte Politik in Tschechien nur schwer durchsetzen. Doch Deutsche und Österreicher können nicht alles nach ihren Standards beurteilen - in Frankreich und England legt man ebenfalls andere Maßstäbe an.

Was Not tut ist also die Ausarbeitung gemeinsamer europäischer Umweltstandards und ihre gemeinsame Umsetzung in der bald erweiterten Europäischen Union. Die Lasten müssen alle gemeinsam tragen.

Doch ökologische Solidarität ist keine Einbahnstraße: Auch das Atomkraftwerk Temelin wurde zu sozialistischen Zeiten geplant. Will Tschechien Hilfe, muss es den Ängsten und Sorgen seiner Nachbarn Rechnung tragen. (ykk)