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Tschechiens KP: Vom Geächtetem zum Partner

4. Juni 2002

– "Kommunisten haben alle Chancen, drittstärkste politische Partei im Parlament zu werden"

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Prag, 30.5.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Uwe Müller

Ausgegrenzt und als Partner für keine der demokratischen Parteien denkbar, waren die Postkommunisten Tschechiens in den bisherigen Wahlen dazu verurteilt, die Stimmen ihrer Anhänger auszuzählen, um dann wieder auf die Hinterbänke einer geduldeten Opposition zurückzukehren. Das konnte sich im Wahljahr 2002 - also 13 Jahre nach der Wende - ändern. Die Kommunisten sind inzwischen anerkannter Partner - sowohl bei Sozialdemokraten als auch bei den bürgerlichen Demokraten.

Bestes Beispiel: Die Verteidigung der sogenannten nationalen Interessen. Vaclav Klaus traf einzig bei ihnen auf Unterstützung mit seinem Vorschlag, im Abgeordnetenhaus eine Debatte über die Benes-Dekrete zu führen. Auf dieses Spiel ließen sich allerdings auch die anderen Parteien ein und akzeptierten die Kommunisten als Partner in einer Frage, die die kardinalen außenpolitischen Interessen des Landes tangiert. Wie die Kommunisten zu Zeiten des realen Sozialismus die außenpolitischen Belange vertreten haben, musste jedoch allen anderen noch in guter Erinnerung sein. Die parlamentarische Erklärung zu den Dekreten trägt nun auch die Unterschrift der Kommunisten. Nahezu identisch mit der Position der Bürgerlichen Demokraten um Klaus ist übrigens auch die Kritik der Kommunisten an der Europäischen Union. Miroslav Grebenicek, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens, schüttelt entschieden den Kopf bei der Frage, ob er für einen Beitritt zur Europäischen Union sei. Nein, er sei dagegen, diskriminiere die Gemeinschaft doch das Kandidatenland Tschechien in allen wichtigen Punkten, meinte er unlängst in einer TV-Diskussionsrunde. Sicher, Klaus wird das nie so deutlich sagen.

Aber Grebenicek spricht vielen Tschechen aus dem Herzen. Zwischen 14 bis 17 Prozent der Bürger wollen ihm und seinen Genossen dafür ihre Stimme geben. Ein Drittel der Bürger ist inzwischen der Meinung, dass die kommunistische eine demokratische Partei sei. Wie alle anderen Parlamentsparteien auch. Einen tatsächlichen Wandlungsprozess haben die Kommunisten allerdings nicht genommen. Sowenig sie sich von ihrem Namen trennen wollten, sowenig haben sie sich von ihrer totalitären Vergangenheit verabschiedet. Vergangenheitsbewältigung ist für sie ein Fremdwort, wie übrigens für einen Großteil der Gesellschaft auch.

Die Kommunisten sind also längst nicht mehr eine Randerscheinung, von der viele in der ersten Hälfte der neunziger Jahre glaubten, dass sie eine absterbende Partei seien. In der postkommunistischen Gesellschaft Tschechiens finden sie nicht nur in den Krisenregionen um Ostrava und Most eine treue Wählerschaft. In vielen Gemeinden und kleineren Städten haben sich kommunistische Lokalpolitiker bewährt. Häufig verfügen sie über verwaltungstechnische Erfahrungen aus der Zeit vor 1989. Und wie sich die etablierten Parteien in Prag mit den Affären und Affärchen ihrer Politiker in den Augen der Öffentlichkeit demontierten, gewannen die Kommunisten an Gewicht. Für einen Wahlsieg wird es trotz alledem bei weitem nicht reichen. Aber die mit Klaus und Zeman Unzufriedenen, die vergebens nach einer Alternative Suchenden, konnten sich für die rote Variante entscheiden.

Die Kommunisten haben alle Chancen, drittstärkste politische Partei im Parlament zu werden. Das ginge auf Kosten der Sozialdemokraten. Der lachende Dritte wäre Klaus, der allerdings einen Koalitionspartner benötigt. Allzu viel Bereitschaft dazu findet er bei den Sozialdemokraten nach Zeman nicht mehr. Reichen ihm die Stimmen der bürgerlichen Zweierkoalition nicht, konnte der Sozialdemokrat Spidla den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Und vielleicht kann dieser der Versuchung nicht widerstehen und holt die Kommunisten von den Hinterbänken. Vielleicht nicht gleich in das Kabinett, aber als Partner in einen neuen Oppositionsvertrag. (fp)